Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
ein Händchen für Blumen.
»… aber in Modefragen: kein Stil, keine Ästhetik, ich musste ihr alles beibringen, quasi vom Scheitel bis …«
Rolle eins: dankbare Schülerin.
»… zu den Schuhen, die sind die Visitenkarte des Charakters. Das hab ich ihr immer gesagt, Julie, habe ich gesagt, du …«
»Ernsthaft?«
»Pardon?«
»Sie glauben ernsthaft, dass sich der Charakter eines Menschen in seinen Schuhen widerspiegelt?«
Unwillkürlich schaute sie auf ihre angeschmuddelten alten Turnschuhe, mit denen sie sicher mehrere Marathons durch Marseilles Hinterhöfe gelaufen war. Dann betrachtete sie Pauls handgenähte Halbschuhe. Die sahen unglaublich neu, modisch und teuer aus.
Zadiras Unterbrechung hatte geholfen: Paul fing sich, erwachte aus seiner Rede-Trance.
»Aber warum wurde sie denn ermordet?«, fragte er nun mit etwas festerer Stimme.
»Ich weiß es nicht, Monsieur Paul. Vielleicht war Julie zur falschen Zeit an diesem Ort? Sind Sie ganz sicher, dass Julie nicht vielleicht doch einen Freund besuchen wollte, einen Liebhaber?«
Er schüttelte hilflos Kopf.
Wieder nahm Zadira eine Unruhe an ihm wahr. Unter seiner Erschütterung war noch etwas anderes. Ein Schreck, als wenn er bei etwas ertappt worden wäre. Aber sie konnte ihn wohl kaum so lange ohrfeigen, bis er es ausspuckte.
Zadira sah eine Schachtel Camel auf der Ablagefläche neben dem Hoteldrucker liegen. Dieses Nikotinkaugummi schmeckte wirklich immer scheußlicher.
»Sind Sie bitte so nett und geben mir eine Camel?«, bat Zadira.
Paul beeilte sich, ihrer Aufforderung nachzukommen. Doch als er ihr Feuer geben wollte, winkte sie ab und schob sich die Zigarette hinter das Ohr. Es beruhigte sie.
»Wo wohnte Julie?«, fragte Zadira nun sanft. Ihr Tod nahm ihn mit, auch wenn Zadira das Gefühl hatte, dass Paul ein Mensch war, der Dinge verschwieg, um nicht lügen zu müssen. Wer weiß, vielleicht mussten gute Concierges so sein.
»Sie wohnte im Nebengebäude des Hotels, gleich gegenüber. Unter dem Dach im vierten Stock sind Kammern für die Auszubildenden. Und die Duschen für das Personal.«
»Hatte Julie eine Freundin, die wir benachrichtigen können?«
Er schüttelte kurz den Kopf.
»Wir sind, pardon, wir waren Julies Familie und Freunde, Madame la Commissaire, seitdem sie vergangenen Winter hier anfing.«
»Lieutenant ist völlig ausreichend. Und Sie waren für Julie so etwas wie der große Bruder.«
»Wenn Sie so wollen. Eher die große Schwester.« Er lachte auf.
»Und Sie haben immer gut auf sie aufgepasst?«
»Ja, genau.« Paul lachte noch mal auf.
Das hatte Nicolas sie auch gelehrt: Lachen ist Weinen in der Öffentlichkeit. Wenn jemand auflacht, will er oft lieber schreien vor Angst, Zorn, Schuldgefühl oder Verzweiflung.
»Ich hole den Geschäftsführer«, sagte Paul matt, piepste eine Nummer an und ging dann mit seiner Schachtel Camel nach draußen in den Sommer, der einfach weiterging, als wäre nichts geschehen.
Wenig später hörte Zadira ihn weinen.
Zadira schaute sich um, während sie wartete. Das Foyer mit dem Tresen und der roten Treppe öffnete sich zu einem großzügigen Empfangsbereich. Von diesem gingen zwei Restaurantsäle, ein Zugang zur Küche und einer zur Bar ab. Eine halbrunde Treppe führte zu der großzügigen Terrasse unter kaffeebraunen Sonnenschirmen.
Das Château – eher ein Herrenhaus – atmete savoir-vivre, Intimität und Leichtigkeit. Rot-weiße Bodenkacheln, Marmortische mit verschnörkelten Eisenfüßen, Rokoko-Polstersessel. Frische Lilienbuketts, Kerzen in Gläsern. An den Wänden verruchte Kunst, nicht zu frivol. Was hatte Madame Roche ihr erzählt: Das Hotel war einst die Residenz des Marquis de Sade?
Zadira hatte de Sade gelesen, während ihres Studiums der Rechtswissenschaften. Seine Theorie, dass Reichtum die Gewaltlust fördere, hatte sie beeindruckt. Und geprägt.
Jetzt stand sie auf der Terrasse. Holztische und -stühle, und in einer Ecke ein Ensemble moderner, bunter hartschaliger Kunststoffsessel. Dort ließ sie sich nieder.
Ihr Handy summte. Was sie las, verdunkelte ihre Stimmung noch mehr. Brell simste nämlich: »Presse im Anmarsch.«
Merde, merde, merde.
Presse hieß nervöse Bürgermeister, hieß genervte Polizeichefs, hieß Stress für sie.
»Bonjour, Madame. Sie kommen mit schlechten Nachrichten?«
Die Stimme war tief, sonor und entscheidungsgewohnt.
»Bonjour. Lieutenant Matéo.«
»André Ugo. Ich bin der Hotelmanager.« Er schüttelte Zadira fest die Hand und
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