Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
jetzt auf Madame Roche«, meinte Zadira schließlich.
»Auf Madame Roche.« Wieder stießen sie an, tranken. »Und du, Zadira? Was hat dich hierher verschlagen?«
Commissaire Mazan nahm erstaunt wahr, wie aus Lieutenant Zadiras Brust bei dieser Frage ein dunkler Kummer aufstieg und sich wie ein Schleier über ihr Gesicht legte. Sie wandte sich zur Seite.
»Ein andermal, Doktor«, sagte sie leise. »Ein andermal.«
Jules blinzelte verwirrt.
Nach einer Weile begann Zadira unvermittelt: »Der Marquis de Sade. Das Hotel, in dem Julie arbeitete, hat ihm als Theater gedient.« Zadira schaute Jules finster an. »Kennst du de Sades Schriften? Über Klassensystem und Gewalt?«
»Eher nicht«, sagte er.
»Solltest du lesen«, meinte sie. »Der verruchte Marquis hatte ein paar kluge Gedanken zu diesem Thema. Wie auch immer, ich werde dich jetzt etwas fragen, was nur du mir beantworten kannst. Aber reg dich nicht wieder auf, ja?«
»Jetzt machst du mir Angst.«
Zadira lachte. »Keine Sorge, deine Joints in der Badewanne habe ich auch vergessen.«
Zadira und Jules grinsten sich an. Diesmal bestand zwischen ihnen ein Einverständnis, das Mazan nicht verstand.
»Na gut«, beschloss Jules. »Frag!«
Sie atmete tief ein, hielt erst den Atem an. Und sagte dann: »Du kennst diese Typen. Bon chic bon genre. Die mit Geld und in dem Bewusstsein aufgewachsen sind, dass ihnen ein Logenplatz in der Gesellschaft sicher ist. Die sich nie Sorgen um ihre Existenz machen mussten. Du kennst diese Leute, weil du zu ihnen gehört hast.«
Jules sah sie sehr ernst und sehr still an.
»Und auch wenn du ausgebrochen bist, so kannst du doch sicher sein, dass sie dich wieder aufnehmen würden. Du gehörst zu ihrer Klasse.« Zadiras Blick fixierte Jules’ Gesicht. »Habe ich recht?«
Jules schaute weg, sah in sein Glas, dann nahm er ihren Blick erneut auf und nickte stumm.
»Gut«, sagte Zadira. »Gut. Und jetzt kommt meine Frage: Sind diese Leute, die alles haben, wirklich so arrogant, dass sie ernsthaft meinen, sie kämen damit durch, wenn sie Frauen quälen, töten und dann einfach wegwerfen? Bilde ich es mir nur ein – oder sind die wirklich so arrogant?«
Jules sagte, ohne zu zögern: »Ja. Das sind sie.«
Zadira atmete noch einmal tief ein und aus.
» Bon. Dann werden sie begreifen müssen, dass sie sich diesmal getäuscht haben.«
23
D ie Morgenröte färbte den Mont Ventoux graublau und setzte ihm eine aprikosenfarbene Spitze auf.
Als Zadira aus ihrer Wohnung trat, wäre sie fast über Madame Blanche gefallen, die dort konzentriert die schon saubere Treppe putzte.
» Bonjour, Madame Blanche.«
»Ach, Madame Lieutenant, guten Morgen«, antwortete ihre Vermieterin und versuchte, nicht sehr diskret, um Zadira herum in deren Wohnung zu spähen.
Zadira wurde klar, dass Madame Blanche extra früher aufgestanden sein musste, um im obersten Stockwerk auszukundschaften, ob Doktor Parceval, nachdem er sich bei ihr Unmengen Butter ausgeliehen hatte, seinen »Hausbesuch« bei Zadira bis zum Frühstück ausgedehnt hatte.
»Monsieur Parceval ist wahrscheinlich schon mit dem Hund raus«, sagte Zadira. »Und noch einmal vielen Dank, ihre Butter hat uns sehr geholfen.«
Madame Blanche bekam kleine hektische Verlegenheitsflecken in ihrem adretten Gesicht.
»So ein netter Mann, der Doktor Parceval«, flüsterte sie und wartete ab, ob Zadira dazu auch etwas sagen wollte.
»Und klug auch noch«, flüsterte Zadira zurück. Ihre Vermieterin strahlte beglückt.
Wie hätte Madame Blanche erst gestrahlt, wenn Zadira gesagt hätte: Ja, und er riecht außerdem umwerfend. Wahrscheinlich wäre ihre Vermieterin dann sofort bei Madame Roche vorstellig geworden, um diese zu bitten, einen entsprechenden Eintrag bei Facebook zu posten.
Das brachte Zadira darauf, warum es eventuell niemandem aufgefallen war, was sich in Haus Nummer 9 der Rue de L’Ancien Hôpital abgespielt hatte. Vielleicht gehörten die, die dort ein und aus gingen, ja schon so sehr zum Stadtbild, dass niemand mehr genauer hinschaute? Anders als bei ihr und Jules, den beiden Neuzugängen in der Gemeinde?
Zadira absolvierte ihr Lauftraining heute entlang der Weinberge der Domaine de Fondrèche. Ein Traktor tuckerte zwischen den Rebenreihen entlang. Zadira hob die Hand. Der Winzer winkte zurück.
Marseille hatte sich wie ein Mantel um Zadira gelegt und sie namenlos werden lassen. In Mazan aber wurde sie ständig gegrüßt und beobachtet, da konnte Zadira nicht einmal drei Meter
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