Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
gehen, ohne dass es jemand bemerkte.
Sie machte auf dem Rückweg bei Jean-Luc auf ihren Kaffee und ein Croissant im Stehen halt. Auf dem Tresen lagen wie immer die Tageszeitungen La Provence und Le Dauphiné. Zadira blätterte sie durch: La Provence hatte nur die offizielle Pressemitteilung über den Mord an Julie abgedruckt und berichtete groß über den »Opa« Hollande, über das Wetter und Olympique Marseille. Die Vaucluser Zeitung Le Dauphiné machte dagegen gleich mit drei Verbrechen aus der Region auf. »Schwere Ermittlungsfehler bei versuchtem Hammer-Mord: Hatten die Polizistin und der Angeklagte ein Verhältnis?« – »Sechzehn Verhaftungen in Sorgues: Razzia bei Einbrecherbande, zwei Tote.« Und, natürlich: »Mädchenmord in Mazan: Geht die Serie weiter?« Zadira schaute nach den Verfassern der drei reißerischen Artikel. Es war jedes Mal der gleiche Name: Blandine Hoffmann. Sie las konzentriert den Artikel über Mazan und Julie, der durch geschickte Stilistik dafür sorgte, dass es nach mehr klang, als die Pressestelle der Polizei in Carpentras herausgegeben hatte.
»Welches Geheimnis verbirgt die Villa Nummer 9? Vis-à-vis des verfallenen Turmes, der zum Marquis de Sadeschen Lustschloss gehörte, wurde die Leiche der bildschönen Hotelangestellten Julie R. (19) aufgefunden, eingewickelt in eine edle Überdecke …« Zadira schnalzte unwillig mit der Zunge. Überdecke! Wer hatte denn das verraten?
Oder ist diese Hoffmann einfach nur ziemlich fit, kann beobachten und aus den Leuten Details herausholen?
Es folgte ein Absatz über das Leben des Marquis de Sade in Lacoste und Mazan, über seine Familie, die die letzten siebenhundert Jahre Ärzte, Bürgermeister, Generäle, Königstreue und Äbte hervorgebracht und die Geschicke der Grafschaft Venaissin, des heutigen Vaucluse, zu lenken gewusst hatte.
»Das ist vielleicht ein Revolverblatt«, knurrte Jean-Luc, als er Zadira noch einen Kaffee hinschob. »Aber alle lieben es. Und, was macht der Fall?«
»Jean-Luc, nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich hasse das Wort Fall«, antwortete Zadira.
Die meisten Zivilisten sagten »der Fall« oder »die Sache«. So als ob sie den Opfern von Verbrechen nicht mal mit Worten zu nah kommen wollten. Die meisten nahmen an, dass auch Polizisten diese Distanz pflegten.
Aber das taten nur Anfänger. Bis sie merkten, dass es keine Distanz gab. Nicht, wenn man die Opfer ernst nahm. Die älteren Mordermittler, und älter war man bei den Bullen schon ab dreißig, sagten immer die Namen der Toten. Immer wieder. So lange, bis sie deren Mörder gefunden hatten. Und wenn sie das nicht schafften, dann wiederholten sie die Namen im Stillen, bis zu ihrem eigenen Tod, so hatte es Nicolas ihr einst erklärt. Manche trugen einen Chor von Namen in sich.
»Julie Roscoff«, flüsterte Zadira nun. »Julie Roscoff.«
Jean-Luc beobachtete sie aufmerksam.
»Sie schaffen das, Lieutenant«, meinte er freundlich. »Sie finden Julies Mörder.«
Dabei hatte sie das Gefühl, dass ihr die Zeit zwischen den Fingern zerrann. Ja, sie war eine gute Drogenfahnderin und straßentauglich, sie kannte die Junkies, die jedem für einen Schuss ein falsches Alibi lieferten, sie hatte Erfahrung mit Schießereien und der korsischen Mafia. Aber hier hatte sie das Gefühl, mit einer zu kleinen Taschenlampe durch einen dunklen Flur zu tappen.
Sie trank rasch den Rest des heißen Kaffees.
Dann holte sie das Telefon aus ihrem Sportgurt an der Hüfte und ließ sich von der Auskunft mit der Redaktion des Le Dauphiné verbinden. Doch es war noch zu früh, nicht einmal halb acht, die Redaktion nie vor elf Uhr voll besetzt. Zadira wählte erneut die Auskunft, und diese gab Zadira bereitwillig die Mobilnummer von Blandine Hoffmann, »freie Journalistin«.
Die ging erst nach dem elften Klingeln dran.
»Was?«, raunzte eine heisere Frauenstimme, der man den rüde unterbrochenen Schlaf und reichlichen Zigarettenkonsum anhörte.
»Guten Morgen, Madame Hoffmann. Mein Name ist Lieutenant Matéo, ich ermittele …«
»Wie schön für Sie. Rufen Sie mich nie wieder vor zehn Uhr an«, brüllte sie und legte auf.
Wow, dachte Zadira. Und wählte die Nummer erneut.
»Aubignan, Bédoin, Monteux, Venasque, Mazan«, sagte sie, noch bevor Hoffmann sie ein zweites Mal anschnauzen konnte.
»Ja, und?«
»Ich denke auch, dass es eine Serie ist.«
Und diesmal war es Zadira, die auflegte, bevor Blandine Hoffmann noch etwas sagen oder fragen konnte.
Zadira rechnete nicht
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