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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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das Buch offen in ihren Schoß zurück und verblüffte ihn aufs Neue, indem sie sagte: »Gut.«
    »Gut, dass ich das gesagt habe oder dass ich das nicht glaube?«, fragte Brunetti.
    »Dass Sie es gesagt haben, natürlich. Dass Sie es nicht glauben, ist sehr schade. Aber wenn Sie das Gegenteil behauptet hätten, wären Sie ein Lügner, und das ist schlimmer.«
    Wie für Pascal zählte für sie die Wahrheit des Herzens und nicht die des Verstandes. Aber davon fing er lieber nicht [161]  an, sondern fragte nur: »Wie können Sie wissen, dass ich die Wahrheit sage?«
    So freundlich hatte sie ihn überhaupt noch nie angelächelt. »Ich mag ja eine vertrocknete alte Schachtel sein, Commissario, und auch noch aus dem Süden kommen, aber dumm bin ich nicht«, sagte sie.
    »Und dass ich kein Lügner bin - wie wirkt sich das auf unsere Unterhaltung aus?«
    »Insofern, als ich glaube, dass Sie wirklich herausfinden wollen, ob Signora Altavillas Tod auf - wie Sie es ausdrücken - etwas Unerfreuliches zurückzuführen ist. Und da wir Freundinnen waren, will auch ich das wissen.«
    »Das heißt, Sie wollen mir helfen?«, fragte er.
    »Das heißt, ich werde Ihnen die Namen der Leute nennen, mit denen sie die meiste Zeit verbracht hat. Von da an müssen Sie allein weitermachen, Commissario.«

[162]  16
    S ie nannte ihm nicht nur die Namen, sondern auch die Zimmernummern. Zwei Frauen und ein Mann, alle über achtzig und einer der drei geistig nicht mehr ganz auf der Höhe, wie sie es ausdrückte. Brunetti hatte den Eindruck, sie wolle das nicht näher erläutern, und beließ es dabei. Er dankte ihr und fragte, ob es möglich sei, jetzt gleich mit ihnen zu sprechen.
    »Versuchen können Sie es«, sagte die Oberin. »Wir haben Mittag, und für viele unserer Bewohner sind die Mahlzeiten das wichtigste Ereignis des Tages; ich fürchte, sie werden sich erst auf Ihre Fragen konzentrieren können, wenn sie damit fertig sind.« Das erinnerte ihn an seine Mutter, an die Zeit ihres Verfalls, als sie nur noch ans Essen denken konnte und trotzdem immer weiter abmagerte, egal, was sie zu sich nahm. Dann aber hatte sie eines Tages einfach vergessen, was Essen war, und musste ständig daran erinnert und schließlich beinahe dazu gezwungen werden.
    Als sie ihn seufzen hörte, meinte sie: »Wir tun all das aus Liebe zum Herrn und aus Liebe zu unseren Mitmenschen.«
    Er nickte beklommen, und sie bemerkte: »Ich weiß nicht, wie auskunftsfreudig die Leute sein werden, wenn sie erfahren, dass Sie Polizist sind. Vielleicht sollten Sie nur sagen, Sie seien ein Freund von Costanza.«
    »Mehr nicht?«, fragte er lächelnd.
    »Das reicht doch«, sagte sie, ohne sein Lächeln zu erwidern. »Schließlich ist es nicht direkt gelogen, oder?«
    [163]  Brunetti stand auf, ohne auf ihre Frage einzugehen. Er bückte sich und reichte ihr die Hand. Sie drückte sie kurz und sagte: »Wenn Sie hier aus der Tür kommen, gehen Sie nach links bis zum Ende des Flurs und dort nach rechts. Da ist der Speisesaal.«
    »Ich danke Ihnen, Madre«, sagte er.
    Sie nickte und wandte sich wieder ihrem Buch zu. Am liebsten hätte er sich an der Tür schnell umgewandt, ob sie ihn beobachtete, ließ es aber sein.
    Brunetti brauchte keine polizeilichen Ermittlungsmethoden, um festzustellen, was es zu Mittag gab: Schweinebraten und Kartoffeln. Das hatte er schon beim Betreten des Gebäudes gerochen. Wie verheißungsvoll sie duften konnten, erkannte er, als er jetzt an der Küchentür vorbeikam.
    Sechs oder sieben Tische, die Hälfte davon klein und nur für ein, zwei Personen gedeckt, standen an den Fenstern, die auf den campo hinaussahen. Etwa ein Dutzend Leute saßen dort, manche zu zweit, einmal zu viert, einige allein. Kein Tisch war unbesetzt. Auf allen Tischen standen Wein- und Mineralwasserflaschen, die Teller waren offenbar aus Porzellan. Köpfe wandten sich nach ihm um, als er den Raum betrat, dann aber erschienen hinter ihm zwei dunkelhäutige junge Frauen, gekleidet in eine ähnliche Tracht wie Madre Rosa und die ältere Nonne, nur schlichter. Kopftuch und Schleier der Ersten umrahmten die Mandelaugen und die lange gebogene Nase einer toltekischen Statue. Um die Lippen in ihrem mahagonifarbenen Gesicht zog sich eine schmale Linie hellerer Haut, die das natürliche Rot noch konturierte. Brunetti ließ sie nicht aus den Augen, bis sie sich ihm zuwandte, dann tat er, [164]  was er immer tat, wenn ein Verdächtiger ihn ansah: Er schaute in die Ferne, ließ den Blick durch den

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