Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Lillo immerhin vier
Jahre älter war oder ist als ich.«
»Und Sie, Preside, waren Sie jemals in dieser Grotte?«
»Nein. Einmal habe ich Lillo darum gebeten. Aber er
schlug es mir ab, der Großvater und der Vater hatten es ihm
ausdrücklich verboten. Er hatte wirklich Angst vor ihnen, und
es war schon viel, daß er mir das Geheimnis der Grotte
überhaupt verraten hatte.«
Der
Polizeibeamte
Balassone
sprach
trotz
seines
piemontesischen Nachnamens Mailänder Dialekt, obendrein
machte er auch noch ein verdrießliches Gesicht wie an
Allerseelen. L'è el dì di mort, alegher! (∗Es ist der Gedenktag
der Toten, laßt uns fröhlich sein!)∗ Bei seinem Anblick hatte
Montalbano an den Titel eines Gedichtzyklus von Delio Tessa
denken müssen.
Nachdem er hinten in der Grotte eine halbe Stunde lang
mit seinem Apparat herumhantiert hatte, nahm Balassone den
Kopfhörer von den Ohren und sah den Commissario noch
trauriger an, wenn das überhaupt möglich war. Ich habe mich
getäuscht, dachte Montalbano, und jetzt steh' ich saublöd vor
Jacomuzzi da.
Selbiger Jacomuzzi hatte nach zehn Minuten in der Höhle
erklärt, er leide an Klaustrophobie, und war rausgegangen.
Vielleicht weil jetzt keine Fernsehkameras da sind und
dich filmen? dachte Montalbano boshaft.
»Und?« erkundigte sich der Commissario, um seinen
Irrtum bestätigt zu wissen.
»De là del mur, c'è«, sagte Balassone geheimnisvoll,
denn er war nicht nur melancholisch, sondern auch wortkarg.
»Würdest du, wenn es dir nicht zuviel ist, mir netterweise
sagen, was auf der anderen Seite der Mauer ist?« fragte
Montalbano gefährlich freundlich.
»On sit voeuij.«
» Könntest du bitte so freundlich sein und italienisch
sprechen? Wir sind hier nun mal nicht in Mailand.«
Dem Aussehen und dem Tonfall nach hätte Montalbano
ein Höfling aus dem achtzehnten Jahrhundert sein können:
Balassone wußte nicht, daß er sich im nächsten Augenblick,
wenn er so weitermachte, eine blutige Nase holen würde. Zu
seinem Glück gehorchte er.
»Da ist ein Hohlraum«, sagte er, »und der ist genauso
groß wie diese Höhle hier.«
Der Commissario war getröstet, er hatte doch recht
gehabt. Da kam Jacomuzzi herein.
»Nichts gefunden?«
Bei seinem Vorgesetzten war Balassone plötzlich ganz
redselig. Montalbano warf ihm einen schrägen Blick zu.
»Sissignore. Hier nebenan muß es eine zweite Grotte
geben. Ich habe so etwas schon mal im Fernsehen gesehen. Da
war so ein Eskimohaus, wie heißen die noch mal, ach ja, Iglu,
und direkt daneben war noch eins. Die beiden Iglus waren
durch eine Art Anschlußstück, einen kleinen niedrigen
Korridor, miteinander verbunden. Hier haben wir dieselbe
Situation.«
»Daß der Korridor zwischen den beiden Höhlen
verschlossen wurde«, sagte Jacomuzzi, »dürfte wohl schon
ziemlich lange her sein.«
» Sissignore«, sagte Balassone geknickt. »Falls in der
anderen Höhle auch Waffen versteckt sind, dann stammen sie
mindestens aus dem Zweiten Weltkrieg.«
Der Erkennungsdienst hatte, wie es sich gehörte, das
Stück Karton in ein durchsichtiges Plastiktütchen gesteckt,
und das erste, was Montalbano daran auffiel, war, daß es die
Form Siziliens hatte. In der Mitte stand schwarz gedruckt:
ATO-CAT.
»Fazio!«
»Zu Befehl!«
»Laß dir von der Firma Vinti noch mal den Jeep geben
und außerdem Schaufeln, Hacken und Pickel. Morgen fahren
wir noch mal zum Crasticeddru, ich, du, Germanà und
Galluzzo.«
»Sie sind wohl auf den Geschmack gekommen«, entfuhr
es Fazio.
Montalbano fühlte sich müde. Im Kühlschrank fand er
calamaretti bolliti und eine Scheibe reifen caciocavallo. Er
machte es sich in der Veranda gemütlich. Als er fertig
gegessen hatte, warf er einen Blick ins Tiefkühlfach. Darin
war eine granita di limone, die seine Haushälterin nach dem
Eins-zwei-vier-Rezept zubereitete: ein Glas Zitronensaft, zwei
Glas Zucker, vier Glas Wasser. Zum Fingerabschlecken.
Danach legte er sich aufs Bett und wollte den Krimi von
Montalbán zu Ende lesen. Nicht einmal ein Kapitel schaffte er:
So gern er gelesen hätte, der Schlaf gewann die Oberhand.
Keine zwei Stunden später wachte er plötzlich auf und sah auf
die Uhr, es war erst elf Uhr abends. Als er die Uhr auf das
Nachtkästchen zurücklegte, fiel sein Blick auf das Stück
Karton, das er eingesteckt hatte. Er nahm es mit aufs Klo. Als
er im kalten Neonlicht auf der Kloschüssel saß, betrachtete er
es immer noch.
Da kam ihm
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