Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Als ich fertig war und die große Höhle mit
der steinernen Tür geschlossen hatte, war es tiefe Nacht, und
ich war fast heiter. Jetzt schliefen Lisetta und Mario wirklich,
es war nichts geschehen. Deshalb machte mir die Leiche, die
noch oben im Haus lag, gar nichts aus, sie existierte nicht, sie
war ein Ergebnis meiner vom Krieg verwirrten Phantasie.
Dann glaubte ich, die Welt ginge unter. Das Haus vibrierte
unter den Schüssen, die in wenigen Metern Entfernung
einschlugen, aber es war kein Flugzeuglärm zu hören. Es
waren die Schiffe, sie schossen vom Meer aus. Ich rannte
hinaus, ich fürchtete, unter den Trümmern begraben zu
werden, wenn das Haus getroffen würde. Am Horizont schien
der Tag anzubrechen. Was war das nur für ein Licht? Hinter
mir flog das Haus buchstäblich in die Luft, ein Splitter traf
mich am Kopf, und ich verlor das Bewußtsein. Als ich die
Augen wieder öffnete, war das Licht am Horizont noch
intensiver, in der Ferne hörte man fortwährendes Dröhnen. Ich
schaffte es, mich bis zur Straße zu schleppen, machte Zeichen,
winkte, aber kein Fahrzeug hielt an. Alle waren auf der Flucht.
Ich lief Gefahr, von einem Lastwagen überfahren zu werden.
Da bremste jemand, ein italienischer Soldat hob mich in den
Wagen. Aus dem, was sie sagten, begriff ich, daß die
Amerikaner gelandet waren. Ich flehte sie an, mich
mitzunehmen, egal, wohin sie fuhren. Das taten sie. Was mir
danach widerfahren ist, ist für Sie, glaube ich, ohne Belang.
Ich bin erschöpft.«
»Möchten Sie sich ein bißchen hinlegen?« Montalbano
mußte ihn stützen und half ihm beim Ausziehen.
»Bitte verzeihen Sie mir, daß ich die Schlafenden
geweckt und Sie damit in die Wirklichkeit zurückgeholt
habe«, sagte er.
»Es mußte so kommen.«
»Ihr Freund Burgio, der mir sehr geholfen hat, würde Sie
gern sehen.«
»Ich ihn nicht. Und wenn dem nichts entgegensteht, dann
würde ich Sie bitten, so zu tun, als sei ich nie gekommen.«
»Natürlich steht dem nichts entgegen.«
»Brauchen Sie noch etwas von mir?«
»Nein. Ich möchte Ihnen nur noch sagen, daß ich Ihnen
zutiefst dankbar dafür bin, daß Sie meinem Lockruf gefolgt
sind.«
Es gab nichts mehr zu sagen. Der Alte sah auf die Uhr,
die er sich dazu fast in die Augen bohrte. »Jetzt tun wir
folgendes. Ich schlafe ein Stündchen, dann wecken Sie mich,
rufen ein Taxi, und ich fahre nach Punta Ràisi zurück.«
Montalbano lehnte die Fensterläden an und ging zur Tür.
»Einen Augenblick noch, Commissario.« Der Alte hatte
aus dem Portemonnaie, das er auf das Nachtkästchen gelegt
hatte, ein Foto herausgezogen und reichte es dem
Commissario.
»Das ist meine jüngste Enkelin, sie ist siebzehn und heißt
Lisetta.«
Montalbano trat in einen Lichtstrahl. Abgesehen von den
Jeans, die sie anhatte, und dem Mofa, an das sie sich lehnte,
war diese Lisetta wie eine Zwillingsschwester, ein Ebenbild
der anderen Lisetta. Er gab Rizzitano das Foto zurück.
»Dürfte ich Sie vielleicht noch um ein Glas Wasser
bitten?«
Montalbano saß in der Veranda und beantwortete die Fragen,
die sein Polizistenhirn stellte. Der Leichnam des gedungenen
Mörders – falls man ihn unter den Trümmern überhaupt
gefunden hatte – war bestimmt nicht mehr zu identifizieren
gewesen. Lillos Eltern hatten entweder geglaubt, daß es die
sterblichen Überreste ihres Sohnes seien oder daß er, wie der
Bauer erzählte, halbtot von Soldaten mitgenommen worden
sei. Aber da er nichts mehr von sich hatte hören lassen, war er
sicher irgendwo gestorben. Für Stefano Moscato waren es die
Überreste des Mörders, der, nachdem er sein Werk zu Ende
gebracht, also Lisetta, Mario und Lillo ermordet und ihre
Leichen hatte verschwinden lassen, noch mal ins Haus
zurückgekehrt war, um etwas zu stehlen, dann aber von einer
Bombe zerfetzt wurde. Von Lisettas Tod überzeugt, hatte er
die Geschichte mit dem amerikanischen Soldaten in die Welt
gesetzt. Als aber sein Verwandter aus Serradifalco nach Vigàta
kam, hatte dieser ihm nicht geglaubt und die Beziehungen mit
ihm abgebrochen. Er dachte an die Fotomontage, und da fiel
ihm das Bild ein, das Rizzitano ihm gezeigt hatte. Er lächelte.
Wahlverwandtschaften waren ein plumpes Spiel, verglichen
mit dem unergründlichen Kreislauf des Blutes, der der
Erinnerung Gewicht, Gestalt, Atem verleihen konnte. Er sah
auf die Uhr und sprang auf. Die Stunde war längst vorbei. Er
ging ins Schlafzimmer. Der alte Mann genoß
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