Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
vermißt?« fragte der Commissario.
»In welcher See denn? Wir lagen immer am Kai. Wir
waren praktisch eine Verlängerung der Mole.«
»Warum galt er dann als vermißt?«
»Weil er am Abend des siebten Juli 1943 nicht an Bord
zurückkam. Nachmittags waren schwere Bombenangriffe, und
er hatte Ausgang. Cunich war aus Monfalcone und hatte einen
Freund aus dem gleichen Dorf, der auch mein Freund war,
Stefano Premuda. Am nächsten Morgen schickte Premuda die
ganze Mannschaft auf die Suche nach Cunich. Einen ganzen
Tag lang gingen wir von Haus zu Haus und fragten nach ihm –
nichts. Wir gingen ins Lazarett, ins Krankenhaus und an die
Stelle, wo man die Toten hinlegte, die unter den Trümmern
gefunden wurden... Nichts. Auch die Offiziere schlossen sich
uns an, weil wir kurz zuvor aufgefordert worden waren, uns
bereitzuhalten, denn wir sollten in den nächsten Tagen die
Anker lichten... Aus dem Ankerlichten wurde dann doch
nichts, weil die Amerikaner kamen.«
»Kann er nicht einfach desertiert sein?«
»Cunich? Niemals! Er glaubte fest an den Krieg. Er war
Faschist. Ein guter Junge, aber Faschist. Außerdem war er bis
über beide Ohren verliebt.«
»In wen denn?«
»In ein Mädchen aus dem Dorf. Wie ich übrigens auch.
Er sagte, er werde sie heiraten, sobald der Krieg vorbei sei.«
»Und Sie haben dann nichts mehr von ihm gehört?«
»Wissen Sie, als die Amerikaner landeten, dachten sie,
daß sie ein Versorgungsschiff wie das unsere ganz gut
brauchen könnten – es war wirklich ein Schmuckstück. Sie
behielten uns in Dienst, in italienischer Uniform, und gaben
uns eine Binde, die wir am Arm trugen, um Mißverständnissen
vorzubeugen. Cunich hatte jede Menge Zeit, wieder zu
erscheinen, aber er tat es nicht. Er war spurlos verschwunden.
Ich bin mit Premuda in brieflicher Verbindung geblieben und
erkundigte mich hin und wieder, ob Cunich aufgetaucht sei, ob
er etwas von ihm gehört habe... Absolut nichts.«
»Sie wußten also, daß Cunich hier eine Freundin hatte.
Haben Sie sie kennengelernt?«
»Nein.«
Eine Frage war noch offen, aber Montalbano hielt sich
zurück und bedeutete dem Preside mit einem Blick, daß er ihm
den Vortritt lassen wollte.
»Hat er Ihnen wenigstens gesagt, wie sie hieß?« nahm der
Preside das Angebot an, das Montalbano ihm so großzügig
gemacht hatte.
»Wissen Sie, Cunich war sehr zurückhaltend. Er hat mir
nur mal gesagt, daß sie Lisetta hieß.«
Was war los? Ging da etwa ein Engel durchs Zimmer und
hielt die Zeit an? Montalbano und der Preside waren wie
erstarrt. Dann faßte sich der Commissario an die Seite, denn er
spürte einen heftigen Stich, der Preside legte eine Hand auf
sein Herz und lehnte sich an ein Auto, um nicht umzufallen.
Marin war ganz erschrocken.
»Was habe ich denn gesagt? Dio mio, was habe ich
gesagt?«
Kaum hatten sie die Werkstatt verlassen, stieß der Preside
Freudenschreie aus.
»Wir haben ins Schwarze getroffen!«
Er machte ein paar Tanzschritte. Zwei, die ihn als streng
und besonnen kannten, blieben verwirrt stehen. Als er sich
beruhigt hatte, wurde der Preside wieder ernst.
»Wir haben San Calogero jeder fünfzigtausend Lire
versprochen. Vergessen Sie das nicht.«
»Ich werde es nicht vergessen.«
»Kennen Sie San Calogero?«
»Seit ich in Vigàta bin, war ich jedes Jahr auf seinem
Fest.«
»Deswegen kennen Sie ihn noch lange nicht. San
Calogero ist, wie soll ich sagen, jemand, der einem nichts
durchgehen läßt. Ich sage es Ihnen in Ihrem eigenen
Interesse.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Ganz und gar nicht. Er ist ein nachtragender Heiliger
und gerät ganz leicht in Harnisch. Wenn man ihm etwas
verspricht, muß man es halten. Wenn Sie zum Beispiel einen
Autounfall haben und mit heiler Haut davonkommen und dem
Heiligen ein Versprechen machen, das Sie dann nicht halten,
können Sie Ihre Hand dafür ins Feuer legen, daß Sie noch mal
einen Unfall haben und dabei mindestens ein Bein verlieren.
Verstehen Sie?«
»Voll und ganz.«
»Jetzt fahren wir heim, und Sie erzählen alles meiner
Frau.«
»Ich?«
»Ja, weil sonst ich ihr sagen müßte, daß sie recht hatte,
und diese Genugtuung gönne ich ihr nicht.«
»Im großen und ganzen«, sagte Montalbano, »könnte es so
gewesen sein.«
Es war schön, so gemütlich in einem Fall zu ermitteln in
einem Haus aus anderen Zeiten und einem Täßchen Kaffee vor
sich.
»Der Matrose Mario Cunich, der in Vigàta fast schon zur
Dorfgemeinschaft
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