Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Commissario. Ich habe sehr schöne
Erinnerungen an Lisetta, wir gingen stundenlang spazieren,
und ich fühlte mich erhaben an ihrer Seite, so erwachsen. Sie
behandelte mich wie einen Gleichaltrigen. Nachdem ihre
Familie Serradifalco verlassen hatte und nach Vigàta
zurückgekehrt war, habe ich nichts mehr von ihr direkt
gehört.«
»Wie das?«
Der Bürgermeister zögerte einen Augenblick. »Na ja,
inzwischen ist ja Gras darüber gewachsen. Ich glaube, daß
mein Vater und der Vater von Lisetta einen furchtbaren Streit
miteinander hatten. Gegen Ende August 43 kam mein Vater
eines Tages ganz verstört heim. Er war in Vigàta bei u Zu
Stefano gewesen, wie ich ihn nannte, ich weiß nicht, aus
welchem Grund. Er war blaß und hatte Fieber, und ich
erinnere mich, daß meine Mutter sehr erschrocken war und ich
folglich auch. Ich weiß nicht, was zwischen den beiden
vorgefallen war, aber am nächsten Tag sagte mein Vater, als
wir beim Essen saßen, daß der Name Moscato in unserem
Haus nie mehr ausgesprochen werden dürfe. Ich gehorchte,
obwohl ich den großen Wunsch hatte, ihn nach Lisetta zu
fragen. Wissen Sie, diese entsetzlichen Streitereien zwischen
Verwandten...«
»Erinnern Sie sich an den amerikanischen Soldaten, den
Lisetta hier kennengelernt hat?«
»Hier? Einen amerikanischen Soldaten?«
»Ja. So habe ich es jedenfalls verstanden. Sie lernte in
Serradifalco einen amerikanischen Soldaten kennen, sie
verliebten sich ineinander, und Lisetta folgte ihm nach
Amerika, wo sie bald darauf heirateten.«
»Von dieser Geschichte mit der Hochzeit habe ich vage
gehört, weil eine Tante von mir, eine Schwester meines
Vaters, ein Foto bekommen hat, das Lisetta als Braut mit
einem amerikanischen Soldaten zeigte.«
»Was erstaunt Sie dann so?«
»Mich erstaunt, daß Sie sagen, Lisetta habe den
amerikanischen Soldaten hier kennengelernt. Als die
Amerikaner Serradifalco besetzten, war Lisetta nämlich schon
seit zehn Tagen aus unserem Haus verschwunden.«
»Wie bitte?«
» Sissignore. Eines Nachmittags gegen drei oder vier sah
ich, daß Lisetta sich anschickte, aus dem Haus zu gehen. Ich
fragte sie, wohin unser Spaziergang uns an jenem Tag führen
würde. Sie antwortete mir, ich solle nicht gekränkt sein, aber
sie wolle allein Spazierengehen. Ich war tief gekränkt. Zum
Abendessen war Lisetta noch nicht zurück. Zio Stefano, mein
Vater und mehrere Bauern machten sich auf die Suche nach
ihr, fanden sie aber nicht. Es waren schreckliche Stunden für
uns, italienische und deutsche Soldaten waren unterwegs, die
Erwachsenen dachten an eine Vergewaltigung... Am
Nachmittag des nächsten Tages verabschiedete sich u Zu
Stefano und sagte, er werde erst wiederkommen, wenn er seine
Tochter gefunden habe. Lisettas Mutter blieb bei uns, die arme
Frau war völlig verzweifelt. Dann war die Landung, und wir
wurden durch die Front voneinander getrennt. An dem Tag, als
die Front sich verlagerte, kam Stefano Moscato, um seine Frau
abzuholen, er sagte, er habe Lisetta in Vigàta gefunden und
durchzubrennen sei eine kindische Idee gewesen. Jetzt, wo Sie
das wissen, verstehen Sie bestimmt, daß Lisetta ihren
zukünftigen Mann nicht hier in Serradifalco, sondern auf jeden
Fall in Vigàta, in ihrem Dorf, kennengelernt hat.«
Zwanzig
Ich weiß daß die Tempel großartig sind seit ich dich kenne
mußte ich sie schon mindestens fünfzigmal anschauen du
kannst dir jede einzelne Säule sonstwohin stecken mir reicht's
ich haue ab.
Livias Mitteilung schäumte vor Wut. Montalbano war
bestürzt, aber weil ihn auf der Rückfahrt von Serradifalco ein
Bärenhunger überfallen hatte, machte er erst mal den
Kühlschrank auf: nichts. Er sah in den Ofen: nichts. Livia, die
Adelina nicht im Haus haben wollte, solange sie selbst in
Vigàta war, hatte es in ihrem Sadismus so weit getrieben, daß
sie alles gründlichst geputzt hatte – weit und breit war nicht
mal ein Brotkrümel zu finden. Montalbano ging zum Wagen
zurück und fuhr zur Osteria San Calogero, an der gerade der
Rolladen heruntergelassen wurde.
»Für Sie haben wir immer geöffnet, Commissario.«
Weil er so hungrig war und weil er es Livia heimzahlen
wollte, aß er, bis ihm schlecht war.
»Aus einem Satz werde ich nicht klug«, sagte Montalbano.
»Wo sie schreibt, daß sie etwas Verrücktes tun muß?«
Sie saßen im Wohnzimmer und tranken Kaffee, der
Commissario, der Preside und Signora Angelina.
Montalbano hielt Lisettas Brief in
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