Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Worte.«
Sie hielt inne, trank einen Schluck Tee und fuhr dann fort.
»Mutig war sie, wirklich mutig. Wenn wir während der
Bombenangriffe in unserem Versteck saßen und vor Angst
zitterten und weinten, dann war sie diejenige, die uns Mut
machte und uns tröstete. Aber für das, was sie dann getan hat,
mußte sie noch viel mutiger sein – den Vater herauszufordern,
im Gewehrfeuer wegzulaufen, hierherzukommen und mit
einem zu schlafen, der nicht mal ihr offizieller Verlobter war.
Wir waren damals anders als die siebzehnjährigen Mädchen
heute.«
Ihr Monolog wurde von der Rückkehr des Preside
unterbrochen, der in heller Aufregung war.
»Burruano ist zu Hause nicht zu erreichen. Kommen Sie,
Commissario, gehen wir.«
»Den Ragioniere suchen?«
»Nein, mir ist etwas eingefallen. Wenn wir Glück haben,
wenn ich recht habe, werde ich San Calogero zu seinem
nächsten Festtag fünfzigtausend Lire spendieren.«
San Calogero war ein schwarzer Heiliger und wurde von
den Leuten im Dorf sehr verehrt.
»Wenn Sie recht haben, lege ich noch mal fünfzigtausend
drauf«, sagte Montalbano, gleich Feuer und Flamme.
»Sagt ihr mir vielleicht, wo ihr hin wollt?«
»Ich erzähl's dir nachher«, gab der Preside zurück. »Und
mich laßt ihr hier sitzen?« protestierte sie.
Der Preside hatte es eilig und war schon aus der Tür.
Montalbano verbeugte sich. »Ich werde Sie über alles auf dem
laufenden halten.«
»Wie konnte ich nur die Pacinotti vergessen?« schimpfte der
Preside, sobald sie draußen waren.
»Wer ist diese Dame?« erkundigte sich Montalbano. Er
stellte sie sich um die Fünfzig und untersetzt vor. Der Preside
gab keine Antwort. Montalbano fragte etwas anderes.
»Fahren wir mit dem Auto? Ist es weit?«
»Ach was. Nur ein paar Schritte.«
»Wer ist denn diese Signora Pacinotti?«
»Warum sagen Sie ‚Signora’? Die Pacinotti war ein
Versorgungsschiff, man brauchte es für Reparaturen, die auf
den Kriegsschiffen anfielen. Sie ging gegen Ende 1940 hier im
Hafen vor Anker und blieb an Ort und Stelle. Die Mannschaft
bestand aus Matrosen, die nicht nur Matrosen, sondern auch
Mechaniker, Zimmerer, Elektriker und Klempner waren. Alles
junge Kerle. Sie waren so lange da, daß viele von ihnen hier
heimisch wurden und schließlich zum Dorf gehörten.
Freundschaften wurden geschlossen, manche verlobten sich
auch. Zwei haben Mädchen aus dem Dorf geheiratet. Einer ist
tot, er hieß Tripcovich, der andere ist Marin, dem die
Autowerkstatt an der Piazza Garibaldi gehört. Kennen Sie
ihn?«
»Er ist mein Mechaniker«, sagte der Commissario und
dachte lustlos, daß er sich schon wieder auf die Zeitreise durch
die Erinnerung der Alten machen mußte.
Ein dicker, mürrischer Mann um die Fünfzig in einem
völlig verschmutzten Overall grüßte den Commissario nicht
und fuhr den Preside an: »Sie verschwenden nur Ihre Zeit. Der
Wagen ist noch nicht fertig, ich habe Ihnen doch gesagt, daß
da eine Menge zu tun ist.«
»Deswegen komme ich gar nicht. Ist Ihr Vater da?«
»Klar! Wo soll er sonst sein? Er ist hier und kostet mich
den letzten Nerv, weil ich natürlich unfähig bin und die
Mechanikergenies in der Familie er und sein Enkel sind.«
Ein etwa zwanzigjähriger junger Mann, ebenfalls im
Overall, tauchte unter einer Motorhaube auf und grinste die
beiden an. Montalbano und der Preside durchquerten die
Werkstatt, die ursprünglich ein Lager gewesen sein mußte,
und kamen zu einer Art Bretterverschlag.
Darin saß hinter einem Schreibtisch Antonio Marin. »Ich
habe alles gehört«, sagte er. »Und wenn die Arthritis mir nicht
in die Knochen gefahren wäre, würde ich dem das Handwerk
schon zeigen.«
»Wir brauchen eine Auskunft von Ihnen.«
»Nur zu, Commissario.«
»Preside Burgio sagt Ihnen, worum es geht.«
»Erinnern Sie sich, wie viele Besatzungsmitglieder der
Pacinotti getötet oder verletzt oder infolge des Krieges als
vermißt gemeldet wurden?«
»Wir hatten Glück«, sagte der Alte und wurde munter;
offenbar sprach er gern über diese heroischen Zeiten, und zu
Hause winkten sie wahrscheinlich immer gleich ab, wenn er
mit dem Thema anfing. »Wir hatten einen Toten infolge eines
Bombensplitters, er hieß Arturo Rebellato; einen Verletzten –
ebenfalls durch einen Splitter – namens Silvio Destefano, und
einen Vermißten, Mario Cunich. Wissen Sie, wir standen uns
sehr nahe, die meisten von uns waren aus dem Veneto, aus
Triest...«
»Wurde er auf See
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