Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge
angerufen, der zufällig die Leiche einer alten Frau gefunden hat. In Villaseta, in der Via Garibaldi. Vor demselben Haus, bei dem wir auf den Jungen gewartet haben. Deswegen hab' ich versucht Sie zu erreichen.« Montalbano spürte etwas wie einen elektrischen Schlag. »Tortorella und Galluzzo sind schon dort. Galluzzo hat gerade angerufen, ich soll Ihnen sagen, daß es die Alte ist, die er zu Ihnen nach Haus gebracht hat.« Aisha.
Der Fausthieb, den Montalbano sich selbst verpaßte, war zwar nicht so heftig, daß er sich die Zähne ausschlug, aber immerhin blutete seine Lippe. »Was ist denn mit Ihnen los?« fragte Fazio erstaunt. Aisha war eine Zeugin, natürlich, genau wie Francois; er aber hatte sich nur um den Jungen gekümmert. Er war ein Arsch, anders konnte man das nicht nennen. Fazio reichte ihm ein Taschentuch. »S'asciucasse. Wischen Sie sich ab.«
Aisha lag als gekrümmtes Bündel am Fuß der Treppe, die zu Karimas Zimmer hinaufführte.
»Anscheinend ist sie gestürzt und hat sich das Genick gebrochen«, sagte Dottor Pasquano, den Tortorella angerufen hatte. »Nach der Obduktion kann ich Ihnen mehr sagen.
Es reicht ja auch ein Windhauch, daß so eine alte Frau die Treppe runterfliegt.«
»Und wo ist Galluzzo?« fragte Montalbano Tortorella. »Er ist nach Montelusa zu einer Tunesierin, bei der die Tote gewohnt hat. Er will sie fragen, warum die Alte herkommen wollte, ob sie jemand angerufen hat.« Als der Krankenwagen abfuhr, ging der Commissario in Aishas Haus, hob eine Steinplatte neben dem Herd ab, nahm das Sparbuch heraus, blies den Staub weg und steckte es ein. »Dottore!«
Es war Galluzzo. Nein, Aisha war nicht angerufen worden. Sie wollte unbedingt wieder nach Hause, war früh am Morgen aufgestanden, hatte den Bus genommen und das Stelldichein mit dem Tod nicht versäumt.
Zurück in Vigàta, fuhr er nicht sofort ins Büro, sondern erst in die Kanzlei von Notaio Cosentino, den er gut leiden konnte.
»Was kann ich für Sie tun, Dottore?«
Der Commissario zog das Sparbuch hervor und reichte es dem Notaio. Dieser schlug es auf, sah es an und fragte:
»Und?«
Montalbano wand sich in kompliziertesten Erklärungen, denn er wollte dem Notaio nicht die ganze Geschichte erzählen.
»Wenn ich richtig verstanden habe«, faßte Notaio Cosentino zusammen, »gehört dieses Geld einer Frau, die Sie für tot halten und deren Erbe ihr minderjähriger Sohn wäre.«
»Richtig.«
»Sie möchten, daß dieses Geld auf irgendeine Weise festgelegt wird und das Kind darüber verfügen kann, wenn es volljährig ist.«
»Richtig.«
»Aber warum behalten Sie das Sparbuch nicht selbst und geben es dem Jungen, wenn es soweit ist?«
»Wer sagt denn, daß ich in fünfzehn Jahren noch lebe?«
»Stimmt«, meinte der Notaio. »Wir machen folgendes«, fuhr er dann fort, »Sie nehmen das Sparbuch wieder mit, ich überlege mir etwas, und Sie kommen in einer Woche wieder. Man sollte das Geld vielleicht gewinnbringend anlegen.«
»Machen Sie das«, sagte Montalbano und erhob sich.
»Nehmen Sie das Sparbuch wieder mit.«
»Behalten Sie es. Ich könnte es verlieren.«
»Dann gebe ich Ihnen eine Quittung.«
»Das ist doch nicht nötig.«
»Noch etwas, Dottore.«
»Ja?«
»Der Tod der Mutter muß zweifelsfrei feststehen.«
Vom Büro aus rief er zu Hause an. Livia wollte gerade abfahren. Sie verabschiedete sich ziemlich kühl, zumindest kam es Montalbano so vor. Er wußte nicht, was er sagen sollte.
»Ist Mimi gekommen?«
»Natürlich. Er wartet im Auto auf mich.«
»Gute Reise. Ich ruf dich heut abend an.«
Er mußte weitermachen, er durfte sich von Livia nicht anstecken lassen. »Fazio!«
»Zu Diensten!«
»Geh in die Kirche zu Lapecoras Beerdigung, die muß schon angefangen haben. Nimm Gallo mit. Wenn die Leute auf dem Friedhof der Witwe kondolieren, gehst du zu ihr und sagst mit einem möglichst finsteren Gesicht: »Signora, kommen Sie mit ins Kommissariate Sollte sie eine Szene machen und auf dumme Gedanken kommen, kannst du sie ohne Bedenken mit Gewalt ins Auto setzen. Und noch was: Lapecoras Sohn ist bestimmt auch auf dem Friedhof. Falls er auf die Idee kommt, seine Mutter zu verteidigen, legst du ihm Handschellen an.«
MINISTERIUM FÜR TRANSPORT UND ZIVILES VERKEHRSWESEN - HAUPTVERWALTUNG IM RAHMEN ÄUSSERST HEIKLER ERMITTLUNGEN WEGEN MORDES AN ZWEI TUNESIERINNEN NAMENS KARIMA UND AISHA BENÖTIGE ICH DRINGENDST PERSONALIEN UND ADRESSE DES HALTERS DES AUF DAS KENNZEICHEN AM 237 GW ZUGELASSENEN FAHRZEUGS
Weitere Kostenlose Bücher