Commissario Montalbano 04 - Die Stimme der Violine
beieinander hat und zumindest oberflächlich über die sizilianischen Straßenverhältnisse Bescheid weiß, würde, um von Vigàta nach Calapiano zu kommen, zuerst die Schnellstraße nach Catania nehmen, anschließend in die Straße abbiegen, die landeinwärts zu dem elfhundertzwanzig Meter hoch gelegenen Troina führt, dann nach Gagliano wieder auf sechshunderteinundfünfzig Meter hinunterfahren, und zwar auf einer Art Feldweg, der seinen ersten und letzten Asphaltbelag fünfzig Jahre vorher, in den Anfangszeiten der regionalen Autonomie, gesehen hat, und Calapiano schließlich über eine Provinciale erreichen, die sich eindeutig weigerte, für eine solche gehalten zu werden, denn ihr ureigenstes Bestreben bestand darin, wieder zu ihrem früheren Zustand zurückzufinden und wie nach einem Erdbeben auszusehen. Doch damit nicht genug. Der Bauernhof von Mimi Augellos Schwester und ihrem Mann lag vier Kilometer außerhalb des Dorfes, und um dorthin zu gelangen, musste man sich in Serpentinen auf einem Schotterstreifen vorwärts bewegen, wo es sich sogar die Ziegen zweimal überlegten, ob sie auch nur einen ihrer vier Hufe daraufsetzen sollten. Das war sozusagen die beste Strecke, es war die Strecke, die Mimi Augello immer fuhr und die erst im letzten Abschnitt wirklich heikel und beschwerlich war.
Montalbano wählte diese Route natürlich nicht, sondern beschloss, die Abkürzung quer über die Insel zu nehmen, sodass er schon von den ersten Kilometern an auf winzigen Sträßchen fuhr, neben denen die wenigen übrig gebliebenen Bauern ihre Arbeit unterbrachen, um verwundert diesem verwegenen Auto hinterherzuschauen. Das würden sie zu Hause aber ihren Kindern erzählen:
»U sapìti stamatina? Un' automobili passò! Wisst ihr was? Heute Morgen ist ein Automobil vorbeigekommen!«
Aber das war das Sizilien, das der Commissario liebte, das rauhe, mit spärlichem Grün, das Sizilien, in dem es unmöglich schien (und war) zu überleben und wo man noch immer, wenn auch immer seltener, jemanden mit Gamaschen, Schirmmütze und Gewehr über der Schulter antraf, der, zwei Finger am Schild, vom Muli aus grüßte.
Der Himmel war wolkenlos und klar und machte kein Hehl aus seiner Absicht, selbiges bis zum Abend auch zu bleiben; es war fast heiß. Trotz geöffneter Seitenfenster staute sich im Inneren des Autos ein köstlicher Duft, der den Paketen und Päckchen entströmte, unter denen die Rückbank buchstäblich verschwand. Vor der Abreise war Montalbano noch zum Café Albanese gefahren, wo das beste Gebäck von ganz Vigàta hergestellt wurde, und hatte zwanzig frische cannola, zehn Kilo tetù, taralli, viscotti regina, mostazzoli aus Palermo, dolci di riposto und frutti di martorana und als Krönung eine knallbunte, fünf Kilo schwere cassata gekauft.
Als er ankam, war Mittag schon vorbei, er schätzte, dass er über vier Stunden gebraucht hatte. Das große Bauernhaus schien leer zu sein, nur der rauchende Schornstein verriet, dass jemand da war. Er hupte, und kurz darauf erschien Mimis Schwester Franca in der Tür. Sie war eine blonde Sizilianerin, hatte die vierzig schon überschritten und war kräftig und hochgewachsen: Sie sah das Auto an, das sie nicht kannte, und wischte sich die Hände an der Schürze ab.
»Ich bin's, Montalbano«, sagte der Commissario, als er die Wagentür öffnete und ausstieg.
Mit einem breiten Lächeln im Gesicht lief Franca ihm entgegen und umarmte ihn.
»Und Mimi?«
»Er konnte im letzten Augenblick nicht kommen. Es tut ihm wirklich Leid.«
Franca sah ihn an. Montalbano konnte Menschen, die er schätzte, nicht anschwindeln, er verhaspelte sich, wurde rot, wandte den Blick ab.
»Ich rufe Mimi an«, sagte Franca entschieden und ging ins Haus. Irgendwie schaffte Montalbano es, sich die Pakete und die Päckchen aufzuladen, und nach einer Weile folgte er ihr.
Franca legte gerade den Hörer auf.
»Er hat noch Kopfschmerzen.«
»Bist du jetzt beruhigt? Glaub mir, es war nicht der Rede wert«, sagte der Commissario und lud Pakete und Päckchen auf dem Tisch ab.
»Was ist denn das?«, fragte Franca. »Willst du hier eine Pasticceria einrichten?«
Sie stellte die süßen Sachen in den Kühlschrank.
»Wie geht's dir, Salvo?«
»Gut. Und euch?«
»Allen gut, ringraziando u Signuri. Und Francois erst! Er ist in die Höhe geschossen, ganz schön groß ist er geworden.«
»Wo sind sie?«
»Draußen, auf dem Feld. Aber wenn die Glocke läutet, kommen sie alle zum Essen heim. Bleibst du über
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