Commissario Montalbano 04 - Die Stimme der Violine
plötzlich in den Sinn gekommen, mitten in der Nacht. Ich habe geschlafen, und dann habe ich gemerkt, wie mich jemand am Arm berührt. Es war Francois. >Bist du krank?< >Nein.< >Was ist denn dann?< >Ich hab Angst.< >Wovor denn?< >Dass Salvo kommt und mich holt.<
Manchmal fällt ihm das mitten im Spiel oder beim Essen ein, und dann wird er ganz düster, sogar richtig böse.«
Franca redete weiter, aber Montalbano hörte sie nicht mehr.
Er hing in Gedanken einer Erinnerung nach, als er genauso alt wie Francois gewesen war, sogar ein Jahr jünger. Seine Großmutter lag im Sterben, seine Mutter war schwer krank geworden (aber das alles verstand er erst später), und um sich besser um sie kümmern zu können, hatte ihn der Vater zu einer seiner Schwestern gebracht, Carmela, die mit dem Besitzer eines billigen, schlampigen Ladens, einem sanften und freundlichen Mann namens Pippo Sciortino, verheiratet war. Sie hatten keine Kinder. Nach einiger Zeit kam sein Vater, um ihn wieder abzuholen, mit schwarzer Krawatte und einem ebenfalls schwarzen breiten Band am linken Arm, das wusste er noch ganz genau. Aber er hatte sich geweigert.
»Ich geh nicht mit! Ich bleibe bei Carmela und Pippo. Ich heiße Sciortino.«
Er sah noch das traurige Gesicht des Vaters, die verlegenen Gesichter von Pippo und Carmela vor sich.
»… weil Kinder keine Pakete sind, die man heute hier und morgen da abstellt«, sagte Franca abschließend.
Auf dem Rückweg fuhr er die bequemere Straße und war schon um neun Uhr abends in Vigàta. Er wollte zu Mimi Augello.
»Du siehst schon besser aus.«
»Heute Nachmittag konnte ich wenigstens schlafen. Franca kann man nichts vormachen, stimmt's? Sie hat mich ganz besorgt angerufen.«
»Sie ist eine sehr, sehr kluge Frau.«
»Worüber wollte sie mit dir sprechen?«
»Über Francois. Es gibt ein Problem.«
»Hat der Kleine sie alle lieb gewonnen?«
»Woher weißt du das? Hat deine Schwester dir das gesagt?«
»Mit mir hat sie nicht geredet. Aber ist das so schwer zu verstehen? Ich hab mir schon gedacht, dass es so enden würde.«
Montalbano setzte ein finsteres Gesicht auf.
»Ich verstehe ja, dass dir das wehtut«, sagte Mimi, »aber wer sagt denn, dass es nicht vielleicht ein Glück ist?«
»Für Francois?«
»Auch. Aber vor allem für dich. Du bist nicht für das Vatersein geschaffen, auch nicht als Vater eines Adoptivkindes.«
Gleich hinter der Brücke sah er, dass die Lichter in Annas Haus noch an waren. Er hielt am Straßenrand und stieg aus.
»Chi è?«
»Salvo.«
Anna öffnete ihm die Tür und führte ihn ins Esszimmer.
Sie hatte gerade einen Film gesehen, machte den Fernseher aber sofort aus.
»Magst du einen Schluck Whisky?«
»Ja. Pur.«
»Bist du traurig?«
»Ein bisschen.«
»Das ist nicht leicht zu verdauen.«
» Eh, no.«
Er dachte einen Augenblick über Annas Worte nach: Es ist nicht leicht zu verdauen. Aber woher wusste sie von Francois?
»Entschuldige, Anna, aber woher weißt du das?«
»Es kam um acht in den Nachrichten.«
Wovon redete sie eigentlich?
»In welchem Sender?«
»>Televigàta<. Sie haben gesagt, dass der Questore die Ermittlungen im Mordfall Licalzi dem Chef der Mordkommission übertragen hat.«
Montalbano musste lachen.
»Das ist mir doch egal! Ich meinte etwas ganz anderes!«
»Dann sag, was dich bedrückt.«
»Lieber ein andermal.«
»Hast du Michelas Mann getroffen?«
»Ja, gestern Nachmittag.«
»Hat er dir von seiner platonischen Ehe erzählt?«
»Wusstest du das?«
»Ja, sie hat es mir gesagt. Weißt du, Michela hing sehr an ihm. Wenn sie sich unter diesen Bedingungen einen Geliebten genommen hat, war sie ihm nicht wirklich untreu.
Der Dottore wusste Bescheid.«
In einem anderen Zimmer klingelte das Telefon, Anna ging dran und kam aufgeregt zurück.
»Eine Freundin hat angerufen. Anscheinend ist dieser Chef der Mordkommission vor einer halben Stunde bei Ingegnere Di Blasi erschienen und hat ihn nach Montelusa in die Questura mitgenommen. Was wollen sie von ihm?«
»Ganz einfach - wissen, wo Maurizio steckt.«
»Aber dann verdächtigen sie ihn ja schon!«
»Das liegt doch nahe, Anna. Und Dottor Ernesto Panzacchi, der Chef der Mordkommission, ist ein Mann nahe liegender Schlussfolgerungen. Also, danke für den Whisky und gute Nacht.«
»Was, gehst du schon?«
»Entschuldige, aber ich bin müde. Wir sehen uns morgen.« Plötzlich hatte ihn schlechte Laune gepackt, zäh und schwer.
Mit einem Fußtritt stieß er die Haustür auf
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