Commissario Montalbano 04 - Die Stimme der Violine
Barbesitzer, und zwei Kunden starrten mit offenem Mund auf den Fernseher, in dem ein Reporter von »Televigata« über den Vorfall sprach.
»… und während dieser langen nächtlichen Vernehmung von Ingegnere Aurelio Di Blasi gelangte Dottor Ernesto Panzacchi, der Chef der Mordkommission, zu der Annahme, dass sich dessen Sohn, der dringend des Mordes an Michela Licalzi verdächtigt wurde, in Raffadali im Landhaus der Familie Di Blasi versteckt haben könnte. Der Ingegnere behauptete jedoch, sein Sohn habe sich nicht dorthin geflüchtet, denn er selbst habe ihn tags zuvor dort gesucht. Gegen zehn Uhr heute Vormittag fuhr Dottor Panzacchi mit sechs Beamten nach Raffadali und begann das ziemlich große Haus gründlich zu durchsuchen. Plötzlich sah einer der Beamten, wie ein Mann über den Abhang eines kahlen Hügels dicht hinter dem Haus rannte.
Dottor Panzacchi und seine Leute machten sich an die Verfolgung und entdeckten eine Höhle, in der Di Blasi sich versteckt hatte. Dottor Panzacchi brachte seine Beamten in Stellung und forderte den Mann auf, mit erhobenen Händen herauszukommen. Plötzlich trat Di Blasi vor, wobei er: >Bestraft mich! Bestraft mich!< schrie und drohend eine Waffe schwang. Einer der Beamten feuerte auf der Stelle, und der junge Maurizio Di Blasi stürzte, von einer Garbe in die Brust getroffen, zu Boden. Der geradezu dostojewskische beschwörende Ruf >Bestraft mich!< ist mehr als ein Geständnis. Ingegnere Aurelio Di Blasi wurde aufgefordert, sich einen Anwalt zu nehmen. Auf ihm lastet der Verdacht der Beihilfe zur Flucht des Sohnes, die ein so tragisches Ende genommen hat.«
Als ein Foto von dem Pferdegesicht des armen Jungen erschien, verließ Montalbano die Bar und ging ins Kommissariat zurück.
»Wenn dir der Questore nicht den Fall entzogen hätte, wäre der arme Kerl bestimmt noch am Leben!«, sagte Mimi wütend.
Montalbano gab keine Antwort, ging in sein Büro und schloss die Tür. Im Bericht des Journalisten steckte ein ganz gewaltiger Widerspruch. Wenn Maurizio Di Blasi bestraft werden wollte, wenn er diese Strafe so sehnlich wünschte, wozu hatte er dann eine Waffe in der Hand, mit der er die Polizisten bedrohte? Ein bewaffneter Mann, der die Pistole auf diejenigen richtet, die ihn verhaften wollen, wünscht keine Bestrafung, sondern versucht, sich der Verhaftung zu entziehen und zu fliehen.
»Ich bin's, Fazio. Kann ich reinkommen, Dottore?«
Erstaunt sah der Commissario, dass mit Fazio auch Augello, Germana, Gallo, Galluzzo, Giallombardo, Tortorella und sogar Grasso eintraten.
»Fazio hat mit einem Freund geredet, der bei der Mordkommission von Montelusa arbeitet«, sagte Mimi Augello und machte Fazio ein Zeichen, er solle selbst erzählen.
»Wissen Sie, was das für eine Waffe war, mit der der Junge Dottor Panzacchi und seine Leute bedroht hat?«
»Nein.«
»Ein Schuh. Sein rechter Schuh. Bevor er gestürzt ist, hat er ihn noch auf Panzacchi werfen können.«
»Anna? Hier ist Montalbano. Ich hab's gehört.«
»Er kann es nicht gewesen sein, Salvo! Ich weiß es! Das ist alles ein tragischer Irrtum! Du musst was tun!«
»Ich rufe nicht deshalb an. Kennst du Signora Di Blasi?«
»Ja. Wir haben uns ab und zu unterhalten.«
»Fahr gleich zu ihr. Ich mache mir Sorgen. Ich möchte nicht, dass sie jetzt allein ist, wo ihr Mann im Gefängnis sitzt und ihr Sohn gerade umgebracht wurde.«
»Ich fahre sofort hin.«
»Dottore, darf ich Ihnen was sagen? Mein Freund von der Mordkommission in Montelusa hat noch mal angerufen.«
»Und gesagt, dass die Geschichte mit dem Schuh nur ein Scherz war.«
»Genau. Es stimmt also.«
»Hör zu, ich geh jetzt nach Haus. Ich glaube, ich bleibe heute Nachmittag in Marinella. Wenn ihr was braucht, könnt ihr mich dort erreichen.«
»Dottore, Sie müssen etwas tun!«
»Jetzt reicht's mir aber, verdammt noch mal!«
Als er die Brücke hinter sich gelassen hatte, fuhr er möglichst schnell geradeaus weiter, denn er hatte keine Lust, auch von Anna noch zu hören, dass er unbedingt etwas unternehmen müsste.
Mit welchem Recht? Hier bin ich, der Ritter ohne Furcht und Tadel! Hier bin ich, Robin Hood, Zorro und der Rächer der Nacht, alle in einer Person: Salvo Montalbano! Der Appetit von vorhin war ihm vergangen, er füllte ein Tellerchen mit grünen und schwarzen Oliven, schnitt sich eine Scheibe Brot ab und wählte, während er knabberte, Zitos Nummer.
»Nicolo? Hier ist Montalbano. Weißt du, ob der Questore eine Pressekonferenz veranstalten
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