Commissario Montalbano 04 - Die Stimme der Violine
und gab ihm zwei Kassetten.
»Das ist das Original und das die Kopie. Sie ist so là là, weißt du, wenn man eine Kopie von einer Kopie macht …«
»Ich will ja nicht bei der Mostra di Venezia antreten. Gib mir einen großen wattierten Umschlag.«
Die Kopie steckte er ein, den Brief und das Original schob er in den Umschlag. Auch diesen adressierte er nicht.
Gallo saß im Auto und las »La Gazzetta dello Sport«.
»Weißt du, wo die Via Xerri ist? In der Nummer achtzehn ist die Kanzlei von Avvocato Guttadauro. Bring den Umschlag hin, und hol mich dann hier ab.«
Es war schon neun vorbei, als Fazio und Giallombardo wieder im Kommissariat auftauchten.
»Ah, Commissario! Das war eine Farce und ein Trauerspiel in einem!«, sagte Fazio.
»Was hat Culicchia gesagt?«
»Erst hat er was gesagt, und dann hat er nichts mehr gesagt«, erklärte Giallombardo.
»Als wir ihm die Kassette zeigten, hat er nichts kapiert. Er hat gesagt: Was ist das, soll das ein Jux sein? Ist das ein Jux? Als Giallombardo ihm mitteilte, dass wir die Kassette in Raffadali gefunden haben, sah er plötzlich ganz anders aus, er wurde immer blasser.«
»Und wie er dann die Waffen gesehen hat«, mischte sich Giallombardo ein, der auch seine Rolle spielen wollte, »hat er keine Luft mehr gekriegt, wir dachten schon, den trifft im Auto der Schlag.«
»Er hat gezittert, als hätte er Dreitagefieber. Dann ist er plötzlich aufgestanden, über mich drübergeklettert und weggerannt«, sagte Fazio.
»Der ist gerannt wie ein gejagter Hase, er hat richtig Haken geschlagen«, sagte Giallombardo abschließend.
»Und jetzt?«, fragte Fazio.
»Wir haben einen Schuss abgefeuert, jetzt warten wir auf das Echo. Danke für alles.«
»Doviri. Pflicht«, sagte Fazio trocken. Und fügte hinzu: »Wo sollen wir die Kassette hintun? In den Tresor?«
»Ja«, sagte Montalbano.
Fazio hatte in seinem Büro einen ziemlich großen Tresor, in dem keine Unterlagen, sondern beschlagnahmte Drogen und Waffen verwahrt wurden, bevor sie nach Montelusa kamen.
Die Müdigkeit überfiel ihn heimtückisch, aber er war ja auch schon fast sechsundvierzig. Er sagte Catarella Bescheid, dass er nach Hause ging, eventuelle Anrufe sollte er dorthin weiterleiten. Nach der Brücke hielt er, stieg aus und ging auf Annas Haus zu. Und wenn sie Besuch hatte? Er wollte es wenigstens versuchen.
Anna kam ihm entgegen.
»Komm doch rein!«
»Hast du Besuch?«
»Nein.«
Sie bat ihn, auf dem Sofa vor dem Fernseher, den sie leiser stellte, Platz zu nehmen, ging hinaus und kam mit zwei Gläsern wieder, einem mit Whisky für den Commissario und einem mit Weißwein für sich.
»Hast du schon gegessen?«
»Nein«, sagte Anna.
»Isst du nie?«
»Ich habe zu Mittag gegessen.« Anna setzte sich neben ihn.
»Komm mir lieber nicht zu nahe, ich stinke«, sagte Montalbano.
»Hattest du einen anstrengenden Nachmittag?«
»Ziemlich.«
Anna streckte ihren Arm über die Lehne, Montalbano ließ seinen Kopf nach hinten sinken und legte den Nacken auf ihre nackte Haut. Er schloss die Augen. Zum Glück hatte er das Glas vorher auf den Tisch gestellt, denn er fiel augenblicklich in Tiefschlaf, als wäre der Whisky mit Opium versetzt gewesen. Nach einer halben Stunde wachte er auf und fuhr hoch, blickte verwirrt um sich, begriff und schämte sich.
»Bitte verzeih.«
»Gott sei Dank bist du aufgewacht, mir ist der Arm eingeschlafen.«
Der Commissario erhob sich.
»Ich muss gehen.«
»Ich bring dich raus.«
An der Tür legte Anna ganz selbstverständlich ihre Lippen leicht auf Montalbanos Mund.
»Schlaf gut, Salvo.«
Er duschte endlos lange, zog frische Unterwäsche und Kleidung an und wählte Livias Nummer. Das Telefon klingelte endlos, dann wurde die Verbindung automatisch unterbrochen. Was tat die gute Frau nur? Verzehrte sie sich in ihrem Schmerz wegen der Geschichte mit Francois? Es war zu spät, um ihre Freundin anzurufen und von ihr etwas zu erfahren. Er setzte sich auf die Veranda und fasste nach kurzer Zeit den Entschluss, dass er, wenn er Livia nicht innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden ausfindig machte, alles stehen- und liegenlassen, ein Flugzeug nach Genua nehmen und wenigstens einen Tag mit ihr verbringen würde.
Als das Telefon klingelte, rannte er von der Veranda, er war sicher, dass es Livia war, die endlich anrief.
»Pronto? Spreche ich mit Commissario Montalbano?«
Diese Stimme hatte er schon mal gehört, aber er erinnerte sich nicht, zu wem sie gehörte.
»Ja. Wer
Weitere Kostenlose Bücher