Commissario Montalbano 04 - Die Stimme der Violine
nachher schnell vorbei.«
Er war angespannt, er konnte sich nicht auf seine Unterlagen konzentrieren und sah dauernd auf die Uhr. Und wenn Mittag vorbei war und sich von der Questura bis dahin niemand gemeldet hatte? Um halb zwölf klingelte das Telefon.
»Dottore«, sagte Grasso, »Zito ist dran.«
»Gib ihn mir.«
Im ersten Augenblick begriff er nicht, was los war. »Patazun, patazùn, patazùn, zun zun zuzù«, machte Zito. »Nicolo?«
»Fratelli d'Italia, l'Italia s'è desta …«
Zito hatte aus voller Kehle die Nationalhymne angestimmt.
»Hör auf, Nicolò, ich hab keine Lust zum Blödeln.«
»Wer blödelt denn? Ich lese dir ein Kommunique vor, das ich vor ein paar Minuten bekommen habe. Jetzt halt dich gut fest. Damit du es weißt, es wurde uns, >Televigàta< und fünf Zeitungskorrespondenten geschickt. Hör zu:
QUESTURA DI MONTELUSA. DOTTORE ERNESTO PANZACCHI HAT AUS REIN PRIVATEN GRÜNDEN DARUM GEBETEN, SEINES AMTES ALS LEITER DER MORDKOMMISSION ENTHOBEN UND ZUR DISPOSITION GESTELLT ZU WERDEN. SEINEM ANTRAG WURDE STATTGEGEBEN. DOTTOR ANSELMO IRRERA WIRD EINSTWEILEN DOTTOR PANZACCHIS FREI GEWORDENE STELLE ÜBERNEHMEN. NACHDEM IN DEN ERMITTLUNGEN IM MORDFALL LICALZI EINE UNERWARTETE WENDE EINGETRETEN IST, WIRD DOTTOR SALVO MONTALBANO VOM KOMMISSARIAT IN VIGÀTA DIESE WIEDER ÜBERNEHMEN. GEZEICHNET: BONETTI-ALDERIGHI, QUESTORE DI MONTELUSA.
Wir haben gewonnen, Salvo!«
Montalbano dankte dem Freund und legte auf. Er empfand keine Befriedigung, die Spannung war zwar weg, die Antwort, die er wollte, hatte er bekommen, aber ihm war gar nicht wohl, er fühlte sich ziemlich elend. Er verfluchte Panzacchi von Herzen, nicht so sehr für das, was er getan hatte, sondern weil er ihn gezwungen hatte, auf eine Art und Weise zu handeln, die ihn jetzt belastete.
Die Tür wurde aufgerissen, alle drängten herein. »Dottore!«, rief Galluzzo, »gerade hat mein Schwager von >Televigàta< angerufen. Es ist ein Kommunique gekommen …«
»Ich weiß, ich kenne es schon.«
»Jetzt kaufen wir eine Flasche Sekt und …«
Giallombardo brachte seinen Satz nicht zu Ende, sondern erstarrte unter Montalbanos Blick. Alle schlichen, leise vor sich hin grummelnd, hinaus. Was für einen gemeinen Charakter dieser Commissario hatte!
Giudice Tommaseo traute sich nicht, Montalbano ins Gesicht zu sehen, er saß vornübergebeugt am Schreibtisch und tat, als studiere er wichtige Unterlagen. Der Commissario dachte, dass sich der Giudice jetzt bestimmt wünschte, ihm möge ein Bart wachsen, der sein Gesicht ganz und gar bedeckte, bis er wie ein Schneemensch aussah, nur hatte er nicht die Statur des Yeti.
»Sie müssen verstehen, Commissario. Die Anklage wegen Besitzes von Kriegswaffen kann ich zurückziehen, das ist kein Problem, ich habe den Anwalt von Ingegnere Di Blasi schon vorgeladen. Aber die Anklage wegen Beihilfe kann ich nicht so leicht fallen lassen. Bis zum Beweis des Gegenteils ist Maurizio Di Blasi der geständige Mörder von Michela Licalzi. Meine Vorrechte erlauben es mir in keinster Weise -«
»Buongiorno«, sagte Montalbano, stand auf und verließ das Zimmer.
Giudice Tommaseo rannte ihm in den Flur nach. »Commissario, warten Sie! Ich möchte klarstellen -«
»Es gibt wirklich nichts klarzustellen, Signor Giudice.
Haben Sie mit dem Questore gesprochen?«
»Ja, lange, wir haben uns heute Morgen um acht zusammengesetzt.«
»Dann sind Ihnen sicher einige Details bekannt, die für Sie ganz belanglos sind. Zum Beispiel, dass die Art und Weise, wie die Ermittlungen im Mordfall Licalzi geführt wurden, unter aller Sau war, dass der junge Di Blasi zu neunundneunzig Prozent unschuldig ist, dass er wegen eines Missverständnisses wie ein Schwein abgeknallt wurde, dass Panzacchi alles gedeckt hat. Es gibt keinen Ausweg: Sie können den Ingegnere nicht von der Anklage wegen Waffenbesitzes freisprechen und gleichzeitig nicht gegen Panzacchi vorgehen, der ihm diese Waffen ins Haus gelegt hat.«
»Ich prüfe gerade die Position von Dottor Panzacchi.«
»Gut, prüfen Sie. Aber nehmen Sie dazu die richtige Waage, von den vielen, die Sie in Ihrem Büro haben.«
Tommaseo wollte schon etwas erwidern, überlegte es sich aber anders und schwieg.
»Eine Frage noch«, sagte Montalbano. »Warum wurde Signora Licalzis Leichnam noch nicht ihrem Mann übergeben?«
Der Giudice wurde immer verlegener, er schloss die linke Hand zur Faust und bohrte seinen rechten Zeigefinger hinein.
»Ach, das war - ja, das war Dottor Panzacchis
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