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Commissario Montalbano 05 - Das Spiel des Patriarchen

Commissario Montalbano 05 - Das Spiel des Patriarchen

Titel: Commissario Montalbano 05 - Das Spiel des Patriarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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alten Leuten? Quatsch, das konnte nicht die Grenze sein, nicht dieser Doppelmord war es, womit Balduccio nichts zu tun haben wollte. Die hatten ganz andere Sachen gemacht, incaprettamento und Alte und Kinder gefoltert, sie hatten sogar einen zehnjährigen Jungen, dessen Schuld allein darin bestand, in einer bestimmten Familie geboren worden zu sein, erdrosselt und dann in Säure aufgelöst. Was er hier sah, war für sie also noch diesseits der Linie. Das Grauen, im Augenblick unsichtbar, lag daher jenseits. Er fühlte eine Art leichten Schwindel und stützte sich auf Mimis Arm.
    »Alles in Ordnung, Salvo?«
    »Die Maske macht mir zu schaffen.«
    Nein, der Druck auf der Brust, die Atemnot, der Nachgeschmack einer grenzenlosen Melancholie, eben all das, was ihm zu schaffen machte, war nicht durch die Maske verursacht. Er beugte sich vor, um sich die beiden Leichname besser ansehen zu können. Und da bemerkte er etwas, was ihm den Rest gab.
    Aus dem Schlamm sahen ihr rechter und sein linker Arm hervor. Die beiden Arme waren ausgestreckt, sie berührten einander. Er beugte sich noch weiter vor, um besser sehen zu können, und hielt dabei Mimis Arm ganz fest. Da sah er die Hände der beiden Toten: Die Finger ihrer rechten Hand und die Finger seiner linken Hand waren ineinander verschlungen. Sie hatten sich bei den Händen gehalten, als sie starben. In der Nacht, in der Angst, vor sich die schwarze Finsternis des Todes, hatten sie sich gesucht, sich gefunden, einander Trost geschenkt, wie sie es im Lauf ihres Lebens sicher schon oft getan hatten. Mitleid und Erbarmen versetzten ihm jäh zwei Fausthiebe auf die Brust. Er schwankte, Mimi hielt ihn schnell fest.
    »Geh raus hier, mit dir stimmt doch was nicht.«
    Er wandte sich um und ging hinaus. Er blickte um sich. Er erinnerte sich nicht wer, aber jemand von der Kirche hatte behauptet, die Hölle existiere, man wisse nur nicht wo. Warum kam der hier nicht mal vorbei? Vielleicht konnte er sich dann einen möglichen Ort vorstellen.
    Mimi trat zu ihm und sah ihn aufmerksam an. »Salvo, wie geht's dir?«
    »Gut, gut. Wo sind Gallo und Galluzzo?«
    »Ich habe sie zu den Feuerwehrleuten geschickt, sie sollen ihnen helfen. Was konnten sie hier schon machen? Und du auch, warum gehst du nicht? Ich bleibe da.«
    »Hast    du    den    Staatsanwalt    benachrichtigt?    Die Spurensicherung?«
    »Alle. Sie werden schon kommen. Geh jetzt.«
    Montalbano rührte sich nicht. Er hielt sich gerade und blickte auf den Boden. »Ich fühle mich schuldig«, sagte er.
    »Hä?«, machte Augello irritiert. »Schuldig?«
    »Ja. Ich habe diese Geschichte mit den beiden alten Leuten von Anfang an auf die leichte Schulter genommen.«
    »Salvo«, erwiderte Augello, »du hast sie doch gerade gesehen. Die Ärmsten wurden noch Sonntagnacht ermordet, als sie von dem Ausflug zurückkamen. Was hätten wir tun können? Wir wussten nicht mal, dass sie existierten!«
    »Ich spreche von danach, nachdem ihr Sohn gekommen ist und gesagt hat, dass sie verschwunden sind.«
    »Aber wir haben doch alles getan, was es zu tun gab!«
    »Das stimmt. Aber ich, ich habe es ohne Überzeugung getan. Mimi, ich halte das hier nicht aus. Ich fahre nach Marinella. Wir sehen uns gegen fünf im Büro.«
    »In Ordnung«, sagte Mimi.
    Besorgt blickte er dem Commissario nach, bis er hinter einer Kurve verschwunden war.
     
    In Marinella öffnete er nicht mal den Kühlschrank, um nachzusehen, was drin war, er hatte keine Lust zu essen, sein Magen war wie zugeschnürt. Er ging ins Bad und betrachtete sich im Spiegel: Die Asche hatte nicht nur sein Haar und seinen Schnauzbart grau gefärbt, sie hob auch die Falten hervor, die blassweiß geworden waren wie bei einem Kranken. Er wusch sich nur das Gesicht, zog sich nackt aus, wobei er Kleidung und Unterwäsche auf den Boden fallen ließ, schlüpfte in die Badehose und rannte ans Meer.
    Im Sand kniend grub er mit den Händen ein tiefes Loch und hörte erst auf, als er sah, wie vom Grund her rasch Wasser aufstieg. Er nahm eine Hand voll noch grüner Algen und warf sie in das Loch. Dann legte er sich auf den Bauch und steckte den Kopf hinein. Er atmete tief ein, einmal, zweimal, dreimal, und bei jedem Luftholen reinigte der Geruch des Salzes und der Algen seine Lungen von der Asche. Dann stand er auf und ging ins Wasser. Mit wenigen kräftigen Zügen schwamm er hinaus. Er nahm den Mund voll Meerwasser, spülte ausgiebig Gaumen und Hals. Danach ließ er sich eine halbe Stunde

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