Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres
festgezurrt, dass er ins Fleisch einschnitt. Die Wunden gehen fast bis an den Knochen, das wäre mit einer Hanf- oder Nylonschnur nicht passiert, außerdem hätten wir dann sicher entsprechende Spuren gefunden. Nein, bevor man ihn ertränkte, wurde der Draht abgenommen. Man sollte glauben, er sei ertrunken.«
»Gibt es eine Möglichkeit für einen kriminaltechnischen Beweis?«
»Gäbe es schon. Das hängt von Mistretta ab. Er müsste in Palermo spezielle Analysen anfordern, um festzustellen, ob entlang der ringförmigen Verletzungen an Handgelenken und Knöcheln Spuren von Metall oder Rost sitzen. Aber das dauert. So, das war's. Ich bin spät dran.«
»Danke für alles, Dottore.«
Sie gaben sich die Hand. Der Commissario stieg ins Auto und machte sich gedankenversunken und im Schneckentempo auf den Heimweg. Ein Wagen näherte sich von hinten und blendete auf, weil er so langsam fuhr. Montalbano hielt sich dicht am Straßenrand, und das andere Auto, eine Art Silbertorpedo, überholte ihn und stoppte dann urplötzlich. Fluchend bremste der Commissario. Im Scheinwerferlicht sah er, dass sich eine Hand aus dem Seitenfenster streckte und ihm die Hörner zeigte. Außer sich vor Wut stieg er aus, um einen Streit vom Zaun zu brechen.
Der Fahrer des Torpedos stieg ebenfalls aus. Montalbano blieb wie angewurzelt stehen. Es war Ingrid, die ihn angrinste und die Arme ausbreitete.
»Ich hab dein Auto erkannt«, sagte die Schwedin.
Wie lange hatten sie sich nicht gesehen? Bestimmt seit einem Jahr. Sie umarmten sich fest, und Ingrid küsste ihn; dann hielt sie ihn in Armlänge auf Abstand und nahm ihn in Augenschein.
»Ich hab dich nackt im Fernsehen gesehen«, lachte sie. »Du siehst immer noch toll aus.«
»Und du wirst immer schöner«, sagte der Commissario und meinte es auch so.
Ingrid umarmte ihn wieder.
»Ist Livia da?«
»Nein.«
»Dann könnte ich doch ein bisschen bei dir auf der Veranda sitzen, oder?«
»Ja, klar.«
»Warte, ich muss schnell was absagen.« Sie murmelte in ihr Handy und fragte dann: »Hast du Whisky?«
»Eine volle Flasche. Da, Ingrid, nimm den Hausschlüssel und fahr schon mal vor. Ich kann ja doch nicht mit dir mithalten.«
Ingrid lachte, nahm den Schlüssel und war bereits verschwunden, als der Commissario noch dabei war, den Motor anzulassen. Er freute sich auf das Zusammensein, das ihm, abgesehen von dem Vergnügen, ein paar Stunden mit einer alten Freundin zu verbringen, den nötigen Abstand verschaffen würde, um mit frischem Kopf über alles nachzudenken, was er von Dottor Pasquano erfahren hatte.
In Marinella kam Ingrid ihm entgegen, umarmte ihn und hielt ihn ganz fest.
»Ich habe die Erlaubnis«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
»Von wem?«
»Von Livia. Als ich vorhin reinkam, klingelte das Telefon und ich bin automatisch drangegangen. Ich weiß schon, das hätte ich nicht tun sollen. Es war Livia. Ich habe ihr gesagt, dass du jeden Moment kommst, aber sie wollte nicht noch mal anrufen. Sie hat gesagt, dass es dir nicht sonderlich gut geht und dass ich dich als Krankenschwester pflegen und aufmuntern darf. Und das ist ja auch meine Art, dich zu pflegen und aufzumuntern.«
Scheiße! Livia musste ganz schön fertig gewesen sein, und Ingrid hatte die giftige Ironie nicht herausgehört, oder zumindest tat sie so.
»Entschuldige«, sagte Montalbano und löste sich aus der Umarmung.
Er wählte die Nummer in Boccadasse, aber sie war besetzt.
Sicher hatte Livia den Hörer neben das Telefon gelegt. Er versuchte es noch mal, während Ingrid die Whiskyflasche holte, Eiswürfel aus dem Gefrierfach nahm und sich auf die Veranda setzte. Das Telefon war weiterhin belegt, der Commissario gab es auf und ließ sich neben Ingrid auf der Bank nieder. Die Nacht war wunderschön, es gab ein paar filigrane Wolken, und vom Meer drang das Rollen einer liebkosenden Brandung zu ihnen. Der Commissario musste lächeln, als ihm ein Gedanke, vielmehr eine Frage in den Sinn kam. Wäre diese Nacht genauso idyllisch, würde er sie genauso erleben, wenn er Ingrid nicht an seiner Seite hätte, Ingrid, die ihm eine großzügige Portion Whisky eingeschenkt und jetzt den Kopf an seine Schulter gelehnt hatte? Und dann fing Ingrid an, von sich zu erzählen, und dreieinhalb Stunden später hörte sie wieder auf, als noch vier Fingerbreit Whisky fehlten, bis man die Flasche offiziell für vernichtet erklären konnte. Sie sprach von ihrem Mann, der ein Arsch war und blieb und mit dem sie im Haus längst getrennt
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