Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres

Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres

Titel: Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
Vom Netzwerk:
fanden, nicht schon umgehend wieder ins Meer geworfen, um bürokratischen Ärger zu vermeiden? »Pieta l'è morta«, das Erbarmen ist tot, hieß es vor langer Zeit prophetisch, vielleicht in einem Lied. Nach und nach siechten auch das Mitleid, die Brüderlichkeit, die Solidarität, die Achtung vor den Alten, den Kranken, den Kindern dahin, im Sterben lagen auch die Regeln des …
    »Jetzt mach doch nicht einen auf scheißmoralisch«, sagte Montalbano zu Montalbano. »Lass dir lieber was einfallen.«
    Er riss sich aus seinen Gedanken und blickte zum Ufer.
    Maire santa, war das weit weg! Wie hatte er es geschafft, so weit rauszuschwimmen? Und wie zum Teufel sollte er es bewerkstelligen, den Toten an Land zu bringen? Selbigen hatte die Strömung inzwischen ein paar Meter weitergetrieben. Wollte er etwa mit ihm um die Wette schwimmen? Da fiel Montalbano ein, wie er das Problem lösen konnte. Er zog die Badehose aus, die außer einem Gummi im Hosenbund auch eine ziemlich lange Kordel hatte, die völlig überflüssig war und nur schick aussah. Mit zwei Schwimmzügen war er wieder bei dem Toten; er überlegte kurz, zog ihm die Badehose über den linken Arm, wickelte sie ihm eng ums Handgelenk und befestigte sie mit dem einen Ende der Kordel. Das andere Ende band er sich mit einem Doppelknoten ums linke Fußgelenk. Falls sich der Arm der Leiche während des Transports nicht löste, was allerdings sehr gut möglich war, würde er, wenn auch unter großen Strapazen, das Ding schon schaukeln, im wahrsten Sinn des Wortes. Montalbano schwamm los. Er schwamm lange, sehr langsam, gezwungenermaßen nur mit den Armen, und hielt gelegentlich inne, um Atem zu holen oder zu kontrollieren, ob die Leiche noch gut befestigt war.
    Nach etwas mehr als der halben Strecke musste er eine längere Pause einlegen, weil er wie ein Blasebalg schnaufte. Er legte sich auf den Rücken, um den toten Mann zu machen, und durch den Zug auf die Kordel wurde der Tote, der echte Tote, auf den Bauch gedreht.
    »Du musst dich noch etwas gedulden«, entschuldigte sich Montalbano.
    Als er nicht mehr so keuchen musste, schwamm er wieder los. Nach einer Zeit, die ihm unendlich lang vorkam, war er so weit, dass er fast stehen konnte. Er löste die Kordel von seinem Fuß, hielt das Ende fest und stellte sich aufrecht hin. Das Wasser reichte ihm bis zur Nase. Auf Zehenspitzen hüpfte er ein paar Meter vorwärts, bis er schließlich richtig auftreten konnte. Jetzt fühlte er sich in Sicherheit und wollte den ersten Schritt tun.
    Er wollte ihn tun, konnte sich aber nicht bewegen. Er versuchte es noch mal. Es ging nicht. O Gott, er war gelähmt! Montalbano stand da wie ein mitten im Wasser in den Boden gerammter Pfosten, an dem eine Leiche angeleint war. Und am Strand kein Mensch weit und breit, den er hätte zu Hilfe rufen können. War das alles vielleicht nur ein Traum, ein Albtraum?
    »Jetzt wache ich gleich auf«, sagte er zu sich.
    Aber er wachte nicht auf. Verzweifelt warf er den Kopf in den Nacken und stieß einen so gewaltigen Schrei aus, dass er davon selbst ganz benommen wurde. Der Schrei bewirkte sofort zweierlei: Erstens schwirrten ein paar Möwen, die über ihm flogen und sich an der Posse ergötzten, erschrocken davon; zweitens kam, wenn auch sehr mühsam, wieder Leben in seine Muskeln, seine Nerven, eben alles, was seinen Körper zusammenhielt. Etwa dreißig Schritte trennten ihn noch vom Ufer, aber sie waren ein wahrer Leidensweg. An der Wassergrenze ließ er sich auf den Hintern plumpsen und blieb lange sitzen, mit der Kordel in der Hand. Montalbano sah aus wie ein Fischer, der einen Riesenfisch erbeutet hatte und ihn nicht an Land ziehen konnte. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass er das Schlimmste überstanden hatte.
    »Hände hoch!«, schrie eine Stimme hinter ihm.
    Erschrocken fuhr Montalbano herum. Wer da geschrien hatte und mit einem Revolver, der den Italienisch-Türkischen Krieg (1911-12) erlebt haben musste, auf ihn zielte, war ein hagerer, nervöser Mann in den Siebzigern, mit besessenem Blick und wenigen Haaren, die ihm wie Drähte vom Kopf abstanden. Neben ihm fuchtelte eine Frau mit Strohhut, die ebenfalls über siebzig war, mit einer Eisenstange herum, wobei man nicht recht wusste, ob es sich dabei um eine Drohgebärde oder fortgeschrittenen Parkinson handelte.
    »Moment«, sagte Montalbano. »Ich bin -«
    »Du bist ein Mörder!«, kreischte die Frau so durchdringend, dass die Möwen, die zurückgekommen waren, um sich am zweiten Akt

Weitere Kostenlose Bücher