Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
ein Plastikvorhang. Das Einzige, was nicht zu dem Esszimmer passte, war ein Klappbett, das als Sofa diente. Alles war blitzsauber. Die junge Frau sah ihn fest an, sagte aber nichts. Nach einer Weile fragte sie in breitem Sizilianisch und mit einem Lächeln, aus dem der Commissario nicht schlau wurde:
»Wollen Sie Eier oder …«
Was meinte sie mit »oder«? Er musste es auf einen Versuch ankommen lassen.
»Oder«, sagte Montalbano.
Die Frau ging zu dem zweiten Raum, warf rasch einen Blick hinein und schloss die Tür. Der Commissario dachte, in dem anderen Zimmer, offenbar das Schlafzimmer, sei jemand, vielleicht ein schlafendes Kind. Die Frau setzte sich auf das Klappbett, streifte die Schuhe ab und begann ihre Bluse aufzuknöpfen.
»Mach die Haustür zu. Wenn du dich waschen willst, es ist alles hinter dem Vorhang«, sagte sie zu Montalbano.
Jetzt verstand der Commissario, was dieses »Oder« bedeutete. Er hob eine Hand.
»Ist schon gut«, sagte er.
Acht
Die Frau sah ihn erstaunt an.
»Ich bin Commissario Montalbano.«
»Madonna biniditta.« Sie wurde rot und sprang auf wie eine Feder.
»Keine Angst. Hast du eine Genehmigung zum Eierverkaufen?«
»Ja. Ich hol sie schnell.«
»Die ist wichtig. Mir brauchst du sie nicht zu zeigen, aber meine Kollegen fragen dich bestimmt danach.«
»Warum? Was ist denn los?«
»Erst beantwortest du meine Fragen. Lebst du hier allein?«
»Nein, mit meinem Mann.«
»Wo ist er?«
»Drabbanna.«
Da drüben? In dem anderen Zimmer? Montalbano traute seinen Ohren nicht. Der Ehemann saß fröhlich nebenan, während seine Frau mit dem erstbesten Mann vögelte, der zur Tür hereinkam?
»Hol ihn.«
»Er kann nicht gehen.«
»Warum nicht?«
»Unn’avi gammi.«
Er hat keine Beine.
»Sie wurden ihm nach dem Unfall amputiert«, fuhr sie fort.
»Was für ein Unfall?«
»Er war mit dem Traktor auf dem Feld, und der Traktor ist umgekippt.«
»Wann war das?«
»Vor drei Jahren. Da waren wir zwei Jahre verheiratet.«
»Zeig ihn mir.«
Die Frau öffnete die Tür und ging zur Seite. Als der Commissario das Zimmer betrat, drang ihm unangenehmer Medizingeruch in die Nase. In einem Ehebett lag schwer atmend ein Mann im Halbschlaf. In einem Winkel stand ein Fernseher mit einem Sessel davor. Ein Toilettentisch war von Medikamenten und Spritzen übersät.
»Die linke Hand haben sie ihm auch amputiert«, flüsterte die Frau. »Er hat Tag und Nacht schreckliche Schmerzen.«
»Warum liegt er nicht im Krankenhaus?«
»Ich kann ihm besser helfen. Aber die Medikamente sind teuer. Und ich will, dass er sie bekommt, und wenn ich meine Augen dafür hergeben muss. Deswegen empfange ich Männer. Der Dutturi Mistretta hat gesagt, ich soll ihm eine Spritze geben, wenn die Schmerzen zu schlimm sind. Vor einer Stunde hat er so geweint, er hat mich angefleht, ich soll ihn töten, er wollte sterben. Da hab ich ihm eine Spritze gegeben.«
Montalbano sah hinüber zu dem Toilettentisch. Morphium.
»Komm, wir gehen rüber.«
Sie kehrten in das erste Zimmer zurück.
»Hast du von der Entführung gehört?«
»Ja. Im Fernsehen.«
»Ist dir in den letzten Tagen hier in der Gegend irgendwas Besonderes aufgefallen?«
»Nein.«
»Sicher?«
Die Frau zögerte.
»Letzte Nacht … Aber das ist vielleicht gar nicht wichtig.«
»Sag’s trotzdem.«
»Letzte Nacht war ich wach und hab ein Auto gehört … Ich dachte, jemand will zu mir, und bin aufgestanden.«
»Empfängst du deine Freier auch nachts?«
»Ja. Aber das sind anständige Leute, sie benehmen sich gut, sie wollen nur nicht, dass man sie am Tag sieht. Eigentlich rufen sie an, bevor sie kommen. Deswegen hab ich mich über das Auto gewundert, weil doch keiner angerufen hat. Aber das Auto kam hier an und ist dann wieder weggefahren, man kann nämlich sonst nirgends wenden.«
Die arme Frau und der Krüppel in seinem Bett konnten unmöglich etwas mit der Entführung zu tun haben. Obendrein war das Haus zu leicht zu finden und wurde Tag und Nacht von Fremden frequentiert.
»Hör mal«, sagte Montalbano, »dort, wo unser Auto steht, haben wir etwas gefunden, das vielleicht dem entführten Mädchen gehört.«
Das Frau wurde kreidebleich.
»Damit haben wir nichts zu tun«, sagte sie mit fester Stimme.
»Ich weiß. Aber man wird dich vernehmen. Erzähl das mit dem Auto, aber sag nicht, dass du nachts Besuch bekommst. Zeig dich nicht in dieser Kleidung, schmink dich ab und zieh andere Schuhe an. Das Klappbett stellst du ins Schlafzimmer. Du
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