Commissario Montalbano 09 - Die dunkle Wahrheit des Mondes
anrollende Brandung in sein Gehirn dringen und es ihm bei jedem neuen Anlauf durchwaschen und reinigen würde. Und endlich erreichte ihn die erste Welle, leicht wie ein Streicheln, tschiiiaff, und es nahm, als es sich wieder zurückzog, blobloblo, Elena Sclafani und ihre Schönheit mit, tschiiiaff blobloblo, und es verschwanden die Brüste, der Bauch, der gekrümmte Körper, die Augen von Michela Pardo. Ausgelöscht der Mann Montalbano, eine fast schon abstrakte Funktion, er, der ausschließlich darauf programmiert war, den Fall zu lösen, ohne persönliche Gefühle. Doch während er sich das alles sagte, wusste er sehr wohl, dass er dazu niemals in der Lage wäre.
Er kehrte ins Haus zurück und öffnete den Kühlschrank. Adelina war offensichtlich von einer akuten Form des Vegetarismus befallen worden: Caponata - süßsauer gebratene Auberginen, Paprika und Zucchini - und ein herrliches Pasticcio aus Artischocken und Spinat. Er wärmte den Auflauf im Ofen und deckte den Tisch auf der Veranda. Dann verschlang er erst die Caponata und delektierte sich dann an dem warmen Auflauf.
Er räumte den Tisch ab und nahm Angelos Brieftasche aus dem Plastikbeutel. Er leerte sie aus und fuhr mit den Fingern durch alle Fächer. Personalausweis. Führerschein. Steuernummer. Kreditkarte der Banca dell'Isola. (Siehst du jetzt, dass du vertrottelt bist? Wieso hast du nicht gleich in der Brieftasche nachgesehen? Dann hättest du vor Michela nicht so dumm dagestanden.) Zwei Visitenkarten, eine von Dott. Benedetto Mammuccari, Chirurg in Palma, die andere von Valentina Bonito, Hebamme in Fanara. Drei Briefmarken, zwei normale und eine für Eilpost. Ein Foto von Elena oben ohne. Zweihundertfünfzig Euro in Fünfzigerscheinen. Die Quittung über eine Volltankung.
Und Schluss. Und aus. Und halt.
Alles so selbstverständlich, alles so normal. Alles viel zu selbstverständlich, alles viel zu normal für einen Mann, der mit einem Schuss ins Gesicht aufgefunden wurde und mit seinem heraushängenden Dingsda, ob es ihm nun für das eine diente oder für das andere. Jedenfalls hatte es herausgehangen. Zugegeben, heutzutage wunderte es keinen mehr, wenn man jemanden mit seinem heraushängenden Schniepel überraschte, und es hatte ja sogar einen ehrenwerten Abgeordneten gegeben, der anschließend in höchste Staatsämter aufgestiegen war und seinen Schniepel der Stadt und dem Erdkreis auf einem in verschiedenen Illustrierten erschienenen Foto zeigte, zugegeben, aber hier waren es die beiden Dinge zusammen, die Ermordung und die Zurschaustellung, die den besonderen Fall ausmachten.
Oder die Besonderheit des Falles. Oder besser noch: die Besonderheit des Schwanzes. Versunken in derart komplexe Variationen über das Thema, hielt der Commissario, der alles wieder in die Brieftasche zurücksteckte, schlagartig inne, als er zu den fünf Geldscheinen zu je fünfzig Euro kam.
Wie viel war noch auf dem Girokonto, das Michela ihm gezeigt hatte? Ungefähr neunzigtausend Euro, von denen fünfzigtausend allerdings Michela selbst gehörten. Mithin hatte Angelo auf der Bank lediglich vierzigtausend Euro. Knapp achtzig Millionen, wenn man sie in alte Lire umrechnete. Da gab es etwas, was nicht stimmig war. Wahrscheinlich bestanden Angelo Pardos Einkünfte aus den Provisionen für die pharmazeutischen Produkte, die er in der Lage war zu platzieren. Und Michela hatte auf den Umstand hingewiesen, dass ihr Bruder ausreichend verdiente, um angenehm zu leben. Schön und gut, aber war das genug, um die teuren Geschenke zu bezahlen, die Elena laut Michela von Angelo erhalten hatte? Ganz sicher nicht. Wenn man heute auf den Markt ging, um seine Wocheneinkäufe zu machen, dann entsprach das dem, was man früher für einen ganzen Monat ausgab. Also? Wie schaffte das einer, der nicht gerade über eine große Menge Geld verfügte, Schmuck und Sportwagen zu kaufen? Entweder legte Angelo das Bankkonto langsam trocken, und das hätte Michelas Ressentiment rechtfertigen können, oder Angelo hatte noch irgendein anderes Einkommen, mit einem entsprechenden Bankkonto, von dessen Existenz es allerdings keine Spur gab. Und von dessen Existenz nicht einmal Michela etwas wusste. Oder tat sie nur so, als wusste sie von nichts?
Er ging hinein und schaltete das Fernsehgerät ein, gerade noch rechtzeitig für die Spätausgabe der Nachrichten auf »Retelibera«. Sein Freund, der Journalist Nicolò Zito, sprach von einem Unfall mit einem Lastwagen und einem Auto, vier Tote, und danach kam
Weitere Kostenlose Bücher