Commissario Montalbano 12 - Die Spur des Fuchses
oder in der Kaffeebar auf sie warten sollte. Er konnte nicht leugnen, dass die Aussicht auf dieses Treffen ihm ein gewisses Unbehagen bereitete. Tatsache war nämlich, dass es in seinen gut sechsundfünfzig Lebensjahren noch nie vorgekommen war, dass er eine ihm im Grunde wildfremde Frau wiedersah, nachdem er mit ihr einen flüchtigen, tja, wie sollte man das jetzt nennen?, ach ja genau, einen congressus carnalis gehabt hatte, wie Ermittlungsrichter Tommaseo das genannt hätte. Und der eigentliche Grund dafür, dass er nicht auf ihre Anrufe reagiert hatte, war, dass er zu verlegen war, um mit ihr zu sprechen. Verlegen und auch ein wenig beschämt darüber, dass er sich dieser Frau von einer Seite gezeigt hatte, die eigentlich gar nicht seinem Wesen entsprach.
Was sollte er ihr sagen? Wie sollte er sich verhalten? Welche Miene sollte er aufsetzen?
Um sich selbst etwas Mut zu machen, stieg er aus dem Auto, betrat die Kaffeebar, ging zur Theke und bestellte bei Pino, dem Barkeeper, einen Whisky pur. Er hatte ihn gerade ausgetrunken, da sah er, wie Pino blass wurde und wie gebannt auf die Eingangstür starrte. Eine Statue, mit offenem Mund, wie der Erschrockene bei den sizilianischen Krippenfiguren, ein Glas in der einen Hand und ein Geschirrtuch in der anderen. Montalbano drehte sich um.
Rachele war gerade hereingekommen. Sie war von einer betörenden Eleganz, die jedoch noch übertroffen wurde von ihrer atemberaubenden Schönheit. Es war, als hätte ihr Erscheinen plötzlich die Leuchtkraft der angeschalteten Lampen erhöht. Pino war zum Marmorblock erstarrt, er konnte sich überhaupt nicht mehr rühren. Montalbano ging ihr entgegen. Sie war wirklich eine bemerkenswerte Frau.
»Ciao«, sagte sie lächelnd, und ihre blauen Augen funkelten vor aufrichtiger Freude über das Wiedersehen mit ihm. »Da bin ich.«
Sie machte auch keinerlei Anstalten, ihn zu küssen oder sich küssen zu lassen, indem sie ihm die Wange hingehalten hätte.
Montalbano fühlte sich von einer Woge der Dankbarkeit durchflutet: Im Nu war ihm wieder wohler. »Nimmst du einen Aperitif?«
»Lieber nicht.«
Montalbano vergaß, den Whisky zu bezahlen. Pino hatte sich immer noch nicht bewegt, er war wie verzaubert. Auf dem Parkplatz fragte Rachele:
»Hast du dich entschieden, wo wir hinfahren?«
»Ja. Nach Montereale Marina.«
»Das liegt an der Straße nach Fiacca, soweit ich weiß. Nehmen wir dein Auto oder das von Ingrid?«
»Nehmen wir das von Ingrid. Macht es dir etwas aus, wenn du fährst? Ich bin ein bisschen müde.«
Das stimmte zwar nicht, aber der Whisky hatte seine Wirkung entfaltet. Wie war es möglich, dass ein Glas Whisky seinen Kopf derart zum Schwirren brachte? Oder war es die mörderische Mischung aus Whisky und Rachele?
Sie fuhren los. Racheles Fahrstil war sehr sicher, sie fuhr zwar schnell, aber zumindest mit annähernd gleichbleibender Geschwindigkeit. Sie brauchten zehn Minuten bis Montereale.
»Und jetzt sag du mir, wie ich fahren soll.« Auf einmal - die mörderische Mischung tat nach wie vor ihre Wirkung - wusste Montalbano den Weg nicht mehr. »Ich meine, nach rechts.«
Die Straße nach rechts war ein Feldweg, der vor einem Bauernhaus endete.
»Also wieder zurück, und dann biegen wir nach links ab.« Aber auch das war nicht richtig, die Straße endete vor dem Lager einer landwirtschaftlichen Genossenschaft. »Dann sollten wir vielleicht einfach geradeaus fahren«, schloss Rachele messerscharf. Und das war dann auch endlich der richtige Weg. Weitere zehn Minuten später saßen sie am Tisch eines Restaurants, in dem Commissario Montalbano schon einige Male gut gegessen hatte.
Der Tisch, den sie gewählt hatten, stand unter einer Pergola in unmittelbarer Nähe zum Strand. Das Meer war etwa dreißig Meter entfernt und schwappte nur träge ans Land. Man konnte die Sterne sehen, und es war nicht eine Wolke am Himmel.
An einem anderen Tisch saßen zwei Fünfzigjährige, und auf den einen der beiden wirkte Racheies Anblick geradezu lebensbedrohlich: Er verschluckte sich an dem Wein, den er gerade getrunken hatte, und lief Gefahr zu ersticken. Seinem Freund gelang es durch kräftiges Klopfen auf den Rücken, ihn im letzten Augenblick wieder zu Atem kommen zu lassen.
»Hier gibt es einen Weißwein, den man auch als Aperitif trinken kann«, schlug Montalbano vor. »Wenn du auch einen nimmst.«
»Sicher. Hast du Hunger?«
»Als ich von Montelusa nach Vigàta hinuntergefahren bin, hatte ich keinen, aber jetzt schon. Das
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