Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
entschuldigen Sie, dass ich Sie angeschrien hab!«
Mit weit aufgerissenen Augen beäugte die Hochleitnerin die Waffe, die sie fest umklammert hielt. Dann schmiss sie das Gewehr mit Wucht auf den Boden, als merke sie jetzt erst, wie widerwärtig das Ding war. Entsetzt sprang Lissie zur Seite und erwartete, dass ihr gleich Kugeln um die Ohren fliegen würden. Doch es passierte nichts, außer dass die Hochleitnerin zu heulen begann.
»Ich hab unten Geräusche gehört und ganz schreckliche Angst gekriegt, nach allem, was in letzter Zeit in Meran passiert ist«, schluchzte sie. »Dann hab ich das Gewehr gepackt. Es war überhaupt nicht geladen!«
Lissie sah, dass die Hochleitnerin am ganzen Körper zitterte. Eine Welle des Mitleids überkam sie. In ein paar Schritten war sie bei der Frau und nahm sie in den Arm. Omas zu drücken war offenbar ihre neue Kernkompetenz. Lissie, die Verständnisvolle. Himmel.
Sie führte die Frau zur Treppe und hoch ins Erdgeschoss. Hier oben brannte nirgendwo Licht. Anscheinend hatte die Frau im Dunkeln gesessen. Merkwürdig. Lissie ertastete einen Schalter, und das Deckenlicht im Erdgeschoss flammte auf. Hier kannte sich Lissie noch halbwegs aus. Da rechts mussten Frühstückszimmer und Küche sein.
Lissie platzierte Elsbeth Hochleitner an ihren Küchentisch und machte sich daran, Tee zu kochen. Während sie das Wasser aufsetzte, legte sie sich blitzschnell eine halbwegs tragfähige Legende für ihr Eindringen durch die Hintertür zurecht. Am besten schnell damit rausrücken, dachte sie, bevor die Hochleitnerin selbst nach einer Erklärung fragt. Vermutlich würde sie sich bald beruhigen. Dann dürfte die Frau wieder in der Lage sein, klar zu denken. Es war bestimmt ratsam, sie nicht zu unterschätzen.
»Es tut mir auch furchtbar leid, dass ich Ihnen Angst gemacht habe, Frau Hochleitner«, begann Lissie. »Ich wollte mich nämlich bloß bei Ihnen nach Justus erkundigen. Als niemand aufgemacht hat, bin ich gegangen, aber dann habe ich Ihren Wagen auf dem Parkplatz entdeckt. Da hab ich gedacht, Sie sind vielleicht doch drin, und es könnte was passiert sein. Als ich dann zufällig gesehen habe, dass die Tür hinten am Haus nur angelehnt war«, log Lissie frech, »da kam mir das Ganze dann richtig komisch vor. Da bin ich rein. Na ja, und alles Übrige kennen Sie.« Zum Abschluss grinste sie leicht schief.
Die Hochleitnerin hob den Kopf. »Aber ich hab doch gar kein Auto.«
»Ach soo?«, machte Lissie und zog ihre Stirn kraus. »Da hinten steht aber eins, das Kennzeichen hab ich nicht sehen können, dafür war’s zu dunkel. Dann habe ich wohl komplett die falschen Schlüsse gezogen. Aber Sie haben’s ja gesagt. Wir sind im Moment alle ein bisschen überdreht. Und jetzt auch noch der Unfall von Justus.«
Elsbeth Hochleitner nippte an ihrem Tee und nickte, doch in ihren Augen stand Misstrauen. Lissie wusste, dass ihre Geschichte mehr als dünn war, aber auf die Schnelle war ihr nichts Besseres eingefallen. Jetzt bestand vermutlich die beste Strategie in einem Gegenangriff.
»Apropos Justus. Wie geht es Ihrem Enkel denn?«
»Er ist jetzt stabil«, antwortete Elsbeth Hochleitner recht kurz angebunden.
»Und was fehlt ihm genau?«, hakte Lissie nach.
»Er hat ein gebrochenes Bein, ein paar Sehnen am rechten Knie sind gerissen. Eine Gehirnerschütterung hat er auch. Und die rechte Schulter ist ausgerenkt. Aber er wird wieder, Gott sei Dank«, sagte die Hochleitnerin tonlos. Dann hob die Frau den Kopf, offenbar war sie entschlossen, sich zusammenzunehmen. »Vielen Dank, Frau von Spiegel. Im Krankenhaus haben sie gesagt, dass Sie zu ihm runter sind, um Erste Hilfe zu leisten, und dann die Bergwacht geholt haben. Das werden Justus und ich Ihnen nicht vergessen.«
Der Dank klang höflich, aber nicht herzlich. Lissie merkte, dass die Frau große Mühe hatte, freundlich zu bleiben. Dass sie ihren Gast loswerden wollte, war offensichtlich. Aber so leicht gab Lissie nicht auf. Sie lächelte, dann sagte sie: »Das war doch selbstverständlich. Aber so ganz begreif ich die Sache immer noch nicht. Wie konnte Ihr Enkel überhaupt da abstürzen? Es war rutschig, das schon. Aber so steil war der Hang nicht, dass Justus seinen Fall nicht selbst nach ein paar Metern hätte stoppen können. Und außerdem hab ich seinen Hüftgürtel gefunden. Den muss er sich vor dem Unfall selbst vom Körper gerissen haben. Wie erklären Sie sich denn das Ganze?«
Mit einem unschuldigen Lächeln schaute sie die Frau
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