Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
schimmeliger Haferbrei aus.
Schließlich sagte sie in aggressivem Tonfall: »Willst du jetzt hören, was ich zu berichten habe, oder kommt’s dir bloß darauf an, mich runterzumachen? Ist dir das wichtiger als der Fall selbst, ja?«
Pavarotti verdrehte nur die Augen und sagte ironisch: »Na, das wird ja was Weltbewegendes sein. Diese hirnverbrannte Aktion hättest du dir sparen können. Ich logiere in der Pension, schon vergessen? Wenn es da etwas zu erfahren gäbe, dann wüsste ich’s.«
»Nichts wüsstest du, gar nichts! Du hast überhaupt keine Antennen dafür, was in anderen vor sich geht! Wo andere ein Gefühlsleben haben, steckt bei dir ein Stück Holz!« Lissies Augen sprühten. »Ich hab die Nase voll, du nervst, und Meran sowieso, mach deinen Mist doch allein weiter. Ich fahr heim, dass du’s nur weißt!« Und sie nahm gleich noch einen kräftigen Schluck, offenbar um ihre Wut runterzuspülen.
Betroffen schwieg Pavarotti. Dann sagte er: »Übetreib doch nicht immer so. Gefühle werden häufig überschätzt, finde ich. Es ist schon oft etwas Ungutes dabei herausgekommen, wenn zu viel davon im Spiel ist. Und deswegen halte ich mich an die Fakten und versuche, die Emotionen aus den Fällen rauszuhalten. So ist das.«
Lissie schaute ihn groß an, dann konterte sie mit bebender Stimme: »Was für ein Blödsinn! Was willst du überhaupt bei der Polizei, wenn’s dich gar nicht interessiert, warum Menschen bestimmte Dinge tun und was sie dabei fühlen? Worum geht’s in deinem Job noch gleich? Doch nicht nur um irgendwelche Fakten!«
Pavarotti fühlte einen schmerzhaften Stich. Trotzdem griff er nach Lissies Hand. Er hielt kurz inne, dann sagte er: »Du musst wissen, mein Vater war auch so einer, der es mit den Gefühlen hatte. Was der nicht alles im Leib hatte. Ehrgefühle, Gerechtigkeitsgefühle, Ekelgefühle und Schamgefühle. Wenn eine seiner zahlreichen Gefühlsknospen verletzt oder angeregt wurde, dann waren meistens wir Kinder die Ursache. Und dann setzte es in der Regel eine Tracht Prügel. Das hat dann auch seinem Überlegenheitsgefühl wieder enorm gut getan. Deswegen hab ich’s wahrscheinlich nicht so mit den Gefühlen.« Pavarotti zog seinen Stuhl zurück und stand auf. »Und jetzt brauch ich meinen Schönheitsschlaf. Wir reden morgen weiter. Gute Nacht.«
ZEHN
Dienstag, 10. Mai
Lissie schaffte es nur mit Mühe, aus dem Bett zu kriechen. Teilnahmslos registrierte sie, dass sie, Lissie die Maschine, die sonst permanent im hohen Drehzahlbereich lief, in den vergangenen Tagen mehr und mehr zum Stillstand gekommen war. So, als ob jemand einige kleine, aber wichtige Teile in ihrem Räderwerk vertauscht hätte, sodass jetzt partout nichts mehr ineinandergriff. Lissie, eine Powerfrau? Lachhaft. Sie kam sich vor wie eine jämmerliche Kopie ihrer selbst.
An diesem Morgen waren auch noch ihre Beine wie Blei. Dieser Gesamtzustand nervte langsam. Lissie ließ die Hose auf den Boden rutschen und schleppte sich ins Bad. Ihr Anblick in dem überdimensionalen Spiegel, der in dem Badezimmer der Suite eine ganze Wand einnahm, war nicht dazu angetan, ihre Stimmung zu heben. Um die Taille herum sah sie irgendwie aufgeschwemmt aus. Konnte es sein, dass ihr linker Busen über Nacht um einen halben Zentimeter nach unten gesackt war?
Die Atmosphäre in diesem Provinzkaff war offenbar für Körper und Geist hochgiftig, und sie hatte das weder kommen sehen noch rechtzeitig gemerkt. Permanent lauerte ihr Vater hinter irgendeiner Ecke, ihre komischen Anfälle waren wieder da, und Pavarotti entwickelte sich zu einer echten Nervensäge. Gestern Abend, als Lissie erschöpft in der Badewanne lag, war sie fest entschlossen gewesen, heimzufahren. Und sei es nur, um dem Typen eins auszuwischen, der den Fall garantiert nicht ohne sie lösen würde. Aber jetzt war sie nicht mehr so sicher, dass es das war, was sie wollte. Auf der anderen Seite würde es ihr zu Hause bestimmt schnell besser gehen, und sie hätte endlich wieder ihre Ruhe.
Schluss mit dem Hin und Her. Lissie zwang sich, die morgendliche Routine in Gang zu bringen und merkte, dass es half, sich auf den vor ihr liegenden Tag zu konzentrieren. Egal, ob sie abreiste oder nicht – sie hatte Pavarotti versprochen, noch die Zeiterfassung in der Therme Meran zu checken. Pavarotti hatte irgendwas von einem ausgeklügelten Plan gesagt, mit dessen Hilfe Louisa ihr Alibi gefälscht haben könnte. Louisa und was Kompliziertes? So ein Quatsch. Aber die Idee mit der Therme
Weitere Kostenlose Bücher