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Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Titel: Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Florin
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eingenommen. Auf dem Linoleumboden darunter waren die Wachsreste von mehreren Dutzend Kerzenstummeln ineinander verschmolzen. Die stark vergrößerte Fotografie wirkte umso grauenerregender, weil Lissie vor ein paar Minuten in das lebende, makellose Gesicht geblickt hatte. Von der einstigen Schönheit war nichts mehr geblieben. Die Folter hatte das Gesicht zerstört.
    Vielleicht hatten sich die italienischen Carabinieri ja gerade wegen der fast überirdischen Schönheit des Jungen derart an ihm ausgetobt. Ein Mann mit einem Engelsgesicht galt damals wohl auch in Italien als verkappter Homosexueller und dürfte bei den italienischen Capos ein willkommenes Ziel für die Entladung ihrer Aggressionen gewesen sein.
    Stirn und Wangen des Jungen waren voller tiefer Brandwunden; vermutlich hatten die Peiniger genüsslich ihre Zigaretten darauf ausgedrückt. Die Lippen waren geschwollen und schorfig, teilweise noch blutig, vermutlich durch die letzten Schläge vor dem Tod.
    Lissie erinnerte sich, dass es Widerstandskämpfer gegeben hatte, die bei den Folterungen an Herzversagen gestorben waren. Martin Turmoser war so einer gewesen, der Vater des Mädchens, das sich bei seiner Verhaftung an sein Bein geklammert hatte. Vielleicht hatte auch Aschenbrenners Vater dieses Schicksal erlitten. Lissie musste daran denken, dass es Luis Loipfertinger mit seinem schnellen Tod am Eisjöchl besser getroffen hatte. Sie schloss die Augen, um ihre Tränen zurückzuhalten. Dafür war jetzt wirklich keine Zeit.
    Eine Wand hatte Aschenbrenner dem Verräter seines Vaters reserviert. Hier hatte ihm ein Foto nicht gereicht. Aufgenommen bei Vereinssitzungen des VEMEL , bei Festlichkeiten, Hochzeiten, beim Kirchgang, war hier der lebende Emil Felderer allgegenwärtig. Soweit man das »lebend« nennen konnte. Denn mit einem dicken roten Filzstift hatte Aschenbrenner seinen Todfeind auf jedem Foto vom Leben zum Tode befördert. Die Fotos waren brutal verunstaltet, teils mit Schnitten durch den Hals, teils durch eine Schlinge um Felderers Kopf, die von einem imaginären Balken hing. Und schließlich hatte der rote Filzer wütende Löcher ins Papier gestanzt. Löcher in die Stirn des Alten, die fast den ganzen Kopf einnahmen und aus denen überdimensionale Blutstropfen quollen. Die Todesart, die Emil Felderer schließlich ereilt hatte.
    Lissie grauste es. Was für ein Kaleidoskop der Seele eines Wahnsinnigen. Denn dass Aschenbrenner irgendwann in den vergangenen Jahren die Grenze von einem normalen, verständlichen Hass auf seinen Feind zum Wahn überschritten hatte, daran war angesichts dieser Schreckenskammer nicht zu zweifeln. Anscheinend hatte Aschenbrenner seinen Hass über Jahrzehnte genährt. Dann hatte er ihn offenbar nicht einmal mehr durch solche Malereien kanalisieren und kontrollieren können.
    Sie zwang sich, ruhig zu atmen. Jetzt kam es drauf an, die Eindrücke dieser abstoßenden Galerie abzuschütteln. Sie musste schnellstens hier raus. Wer wusste schon, was dieser Verrückte vorhatte.
    Lissie rüttelte an der Türklinke. Nichts zu machen. Da roch sie den Rauch. Lieber Himmel, dieser Wahnsinnige hatte sein Geschäft angezündet! In Panik trommelte sie gegen die Wände. Natürlich völlig zwecklos. Kein Geräusch gab irgendwelche Hinweise auf einen Hohlraum oder Geheimgang, was hatte sie denn erwartet. Lissie schrie minutenlang, aber ohne wirkliche Hoffnung. Die Wände in diesen alten Häusern waren dick, sie konnte nur hoffen, dass der Rauch rechtzeitig bemerkt wurde.
    Verzweifelt ließ sie sich auf den Boden sinken. Mittlerweile war sie sich sicher, dass das hier ihr Ende war. Niemand würde rechtzeitig kommen, um sie zu retten. Im richtigen Leben passierte so etwas einfach nicht.
    Immer mehr Rauch drang unter der Tür durch in den Raum, sie musste husten und rang verzweifelt nach Luft. Da fiel ihr ein, dass sie ihr Mobiltelefon dabeihatte. So schnell sie es in ihrem schon benommenen Zustand schaffte, kroch Lissie in die Mitte der Kammer, wo ihre Handtasche auf dem Boden lag, und leerte sie aus. Mit tränenden Augen versuchte sie die Icons auf dem Display zu entziffern. Das Gerät war – halleluja! – ausnahmsweise einmal aufgeladen und hatte sogar einigermaßen Empfang.
    Mit zitternden Fingern wollte sie Pavarottis Mobilnummer wählen, doch ihr Gedächtnis streikte. Wie wild scrollte sich Lissie durch das Handymenü, ziellos, sie konnte inzwischen keinen klaren Gedanken mehr fassen. Nur noch mit Mühe bekam sie Luft. Ihre Todesangst

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