Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
entfuhr ein Schmerzenslaut. Das hatte verflixt wehgetan. Fluchend streckte sich Lissie auf ihrem Bett aus und versank in Grübeleien. Der kleine Hochleitner hatte ihr ganz entschieden etwas Wichtiges erzählt. Er selbst hatte aber mit Sicherheit keine Ahnung, was es bedeutete. Für den Mörder stellte der Kleine keinerlei Gefahr dar. In dem Punkt hatte sich Lissie geirrt. Plötzlich hatte ein Gedanke begonnen, in ihrem Kopf zu rumoren. Und als sie am Schluss ihr Mitbringsel übergeben und gesehen hatte, wie sein Gesicht aufleuchtete, da hatte es plötzlich Klick gemacht.
Jetzt, zurück im Zimmer, kamen ihr wieder Zweifel. Konnte es wirklich sein, dass sie mit ihrer Vermutung recht hatte? Es klang vollkommen unwahrscheinlich, und das Motiv wäre bestimmt das abseitigste, das Pavarotti in seiner Karriere untergekommen war. Aber wie sie es auch drehte und wendete, es passte alles. Ihr fiel ein, dass sich auch die Punkte, denen sie und Pavarotti bisher ratlos gegenübergestanden hatten, im Licht ihrer neuen Theorie mühelos erklären ließen. Ein Puzzleteilchen nach dem anderen fiel an seinen Platz.
Lissie wurde immer unruhiger. Was sollte sie machen? Pavarotti lag wieder einmal total daneben, und sie musste ihm schleunigst ein Licht aufstecken. In ihr wuchs das Gefühl einer drohenden Gefahr. Wenn sie nicht handelte, dann würde es vielleicht noch einen Toten geben. Lissie griff nach ihrem Telefon. In dieser Anstalt hier waren Handytelefonate eigentlich nicht erlaubt, aber geschenkt. Sie wählte Pavarottis Nummer. Zunächst läutete es durch, aber dann sprang wieder einmal die Mailbox an.
Es half nichts. Sie konnte nicht weiter untätig in diesem Bett herumliegen. Lissie streifte die frischen Klamotten über, die ihr Louisa am Morgen gebracht hatte, und stahl sich am Empfang vorbei ins Freie. Gott sei Dank, da waren Taxen. Sie steuerte auf die erste in der Reihe zu und nannte dem Fahrer eine Adresse in Meran. Sichtlich erfreut über eine so gute Fuhre, ließ der Mann den Motor an.
* * *
Als Pavarottis Handy läutete und er Lissies Nummer im Display erkannte, drückte er das Gespräch weg. Im Moment hatte er keine Zeit für sie. Lissie würde sowieso bloß wieder zetern, dass sie das Krankenhaus satthatte. Er hatte aber vor, sie in einer Stunde zu besuchen, wo er doch ohnehin schon vor Ort war. Allerdings in einem ganz anderen Kliniktrakt.
Pavarotti konzentrierte sich wieder auf Klaus Niedermeyer, der in sich zusammengesunken an einem Tisch im Aufenthaltsraum der Psychiatrie saß. Niedermeyer war vollständig angezogen, rasiert und frisiert. Aber seine Haut war grau, und sein Gesicht wirkte aufgedunsen. Sein Anwalt, dieser windige Ettore Tscholl, saß neben ihm. Er machte allerdings den Eindruck, als sei ihm sein Mandant und das ganze Mandat äußerst unangenehm.
»Nur damit ich es verstehe, Niedermeyer. Wie war das an dem Abend in der Weinstube?«, begann Pavarotti.
Tscholl beugte sich vor. »Nur damit wir uns verstehen, Commissario. Mein Mandant ist überhaupt nicht verpflichtet, auszusagen. Er könnte sich natürlich dazu durchringen, wenn Sie ihm Straffreiheit zusichern in dieser Erpressungssache. Die Sie ja sowieso nicht beweisen können.«
Pavarotti hätte fast losgelacht. »Ihr Mandant will Straffreiheit haben? Zum einen bin ich gar nicht befugt, ihm die zuzusichern, und zweitens kommt es gar nicht in Frage. Wenn es etwas wirklich Mieses gibt, dann ist das Erpressung, und die ist, so scheint es mir, in Meran ein recht beliebter Volkssport. Ich hab nicht vor, dafür auch noch den Mäzen zu spielen.«
Verkniffen lächelnd lehnte sich Tscholl zurück. »Dann halt nicht. Ich hab gedacht, Sie wollen Ihren Fall abschließen und die losen Enden zu fassen kriegen. Aber gut. Mein Mandant wandert auch ohne einen Deal mit Ihnen nicht ins Gefängnis. Er ist psychisch krank und war nicht zurechnungsfähig. Wir werden ein psychiatrisches Gutachten vorlegen. Außerdem können Sie die Erpressung nicht nachweisen. Kirchrather wird nicht aussagen, und das Handy mit der angeblichen Mail meines Mandanten können Sie wohl auch nicht vorlegen.« Tscholl grinste hinterhältig.
»Das Handy hab ich entsorgt«, sagte Niedermeyer laut in die Stille hinein. Tscholl machte ein bitterböses Gesicht und knuffte Niedermeyer kräftig in die Seite.
Pavarotti konnte nicht mehr an sich halten, er gluckste los. Tscholl war ja wirklich geschlagen mit diesem Mandanten. »Also, jetzt mal alles schön der Reihe nach«, sagte er.
Niedermeyer
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