Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
durchgehalten. Jetzt zeigte die Frau nach unten und zückte ihren Fotoapparat.
Neugierig stemmte er sich hoch und ging zum Geländer hinüber, hinter dem der Weinberg steil abfiel. Er beugte sich vor und konnte ganz unten einen Blick auf den Fluss erhaschen. Nichts Besonderes zu sehen, die übliche Landschaft halt. Die steilen Waldberge der gegenüberliegenden Talseite warfen dunkle Schatten auf den kurvigen Fluss. Meran selbst war hinter einer Biegung verschwunden. Pavarotti kam die Stadt plötzlich viel weiter entfernt vor, als es sich in Kilometern ausdrücken ließ. Ganz und gar entrückt. Er nippte an seiner Apfelschorle und fragte sich, wie in aller Welt er es geschafft hatte, von da unten hier heraufzukommen. Gar nicht schlecht für den Anfang. Ob er sich in ein paar Wochen schon an die Mutspitze würde wagen können? Es hieß, der Weg sei eigentlich nicht anspruchsvoll.
Sofort ärgerte er sich über diesen absurden Gedanken. Einfach hirnrissig, völlig verblödet war das. Das hatte er nun davon, seinem Gehirn eine derartige Sauerstoffattacke zuzumuten. Die Fakten sprachen eine deutliche Sprache. Er packte es inzwischen nur unter Verrenkungen, sich morgens die Schuhe zuzubinden. Was bedeuteten da schon ein paar Höhenmeter Aufstieg und der Verzicht auf ein Mittagessen – ja was denn? Ein Anfang war es, mehr nicht. Aber immerhin kein schlechter. Seine gute Laune kehrte zurück. Spontan beschloss er, die Deutsche einmal in den Rebland-Garten einzuladen, wenn er den Mord aufgeklärt haben würde. Falls.
Als er sich auf die Socken machte, um das letzte Stück des Weges hinter sich zu bringen, schloss Pavarotti eine Wette mit sich selbst ab. Würde der Vereinsmensch Kirchrather offen über den Streit mit Karl Felderer reden, oder – wie Pavarotti stark annahm – herumlavieren oder sogar frech lügen? Pavarotti brauchte nicht groß nachzudenken. Diese Wette gegen sich selbst würde er locker gewinnen.
* * *
Kirchrather stand an seinem Wohnzimmerfenster, das eine ganze Breitseite des Raumes einnahm, und das ihm eine ebenso gute Sicht auf das rechter Hand liegende Schloss Thurnstein wie auf den letzten Teil des Tappeiner Weges bot. Er beobachtete, wie sich die dicke Gestalt mühsam auf den Serpentinen fortbewegte, die sich hoch zu seiner Villa schlängelten.
Bereits seit dem frühen Morgen dachte er unentwegt darüber nach, wie er sich bei der bevorstehenden Befragung durch den Italiener verhalten sollte. Sollte er sagen, dass Karl Felderer sich mit dem VEMEL überworfen hatte? Wahrscheinlich hatte einer seiner Verbandskollegen sowieso schon alles ausgeplaudert.
Kirchrathers Gedanken irrten hin und her. Der Vater des Toten fiel ihm ein. Beim alten Felderer war die Wahrscheinlichkeit besonders groß, dass er die Schmutzwäsche bereits genüsslich vor dem Commissario ausgebreitet hatte.
Und was in drei Teufels Namen sollte er mit Niedermeyer machen? Kirchrather hatte noch gut dessen vor Aufregung kippende Stimme auf dem letzten VEMEL -Stammtisch im Ohr, als Niedermeyer gegen Felderer, der durch Abwesenheit geglänzt hatte, eine Schmährede vom Stapel gelassen hatte. Die meisten seiner Verbandskollegen hatten ziemlich betreten dreingeschaut, als Niedermeyer ihnen vorhielt, Felderer im Vorjahr sogar noch als Präsidenten im Amt bestätigt zu haben. Anstatt ihn zu wählen! Kirchrather schniefte ungehalten. Jetzt würde dieser Zwerg wahrscheinlich nicht mehr aufzuhalten sein. Objektiv konnte er zwar nichts gegen ihn sagen. Der Mann war schließlich mit seinem Ledergeschäft erfolgreich, trotz der großen Konkurrenz durch Billigware. Trotzdem fand ihn Kirchrather genauso wenig geeignet für das Amt wie den ermordeten Felderer. Der kleine, dürre Kerl war von Ehrgeiz zerfressen und würde so ziemlich alles tun, um sich Anerkennung zu verschaffen. Und das war genau das Problem. Niedermeyer glaubte vermutlich wirklich, mit den Informationen, die er sich kürzlich verschafft hatte, habe er den Freifahrtschein für Karls Nachfolge in der Hand.
Würde Niedermeyer wohl so klug sein, sein Wissen für sich zu behalten? Bestimmt nicht. Kirchrather seufzte. Er wusste, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als den Mann geschickt einzubremsen. Am besten jetzt gleich, bevor es zu spät war. Kirchrather schaute erneut aus dem Fenster. Er sah, dass er noch etwa zehn Minuten hatte, bis dieser italienische Commissario bei ihm eintreffen würde, und griff zum Telefon.
* * *
Pavarotti merkte sofort, dass Kirchrather auf
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