Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
Hand zurückzog. Sie ließ sie schlaff auf dem Tisch liegen, dort, wo Pavarotti sie behutsam deponiert hatte. Der Handkuss hatte dem scheußlichen Abend voller Unterströmungen und Zwischentöne die Krone aufgesetzt. Was sollte das eigentlich mit ihr und diesem dicken Italiener werden?
* * *
Nachdem Lissie das komplette Frühstück inklusive des missglückten Frühstückseis von sich geschoben hatte, schlenderte sie gedankenverloren durch die noch fast menschenleeren Lauben in Richtung Pfarrplatz. Sie hatte sich bei Kirchrather telefonisch für zehn Uhr angemeldet. »Ich interessiere mich für den Befreiungskampf in den Sechzigern«, hatte sie gesagt. »Und die Bibliothek hat mir empfohlen, mich an Sie zu wenden.« Kirchrather war sofort bereit gewesen, sich mit ihr zu treffen. Vielleicht aus Langeweile, vielleicht ist es aber einfach Neugierde, dachte Lissie.
Zu ihrer eigenen Überraschung war Lissie in der Lage, die morgendliche Stille zu genießen. Der Himmel war eine formlose graue Masse, und es roch schon wieder nach Regen. Die meisten Geschäfte hatten noch geschlossen, und die Touristen drehten sich vermutlich nach einem Blick aus dem Fenster noch einmal genüsslich in ihren Betten um. Ihr dagegen war das ja heute nicht vergönnt gewesen. Lissie gähnte und reckte sich im Gehen. Jetzt hätte sie bestimmt die nötige Bettschwere, das spürte sie. Nichts zu machen. Sie hatte eine Verabredung.
Wie es früher ihre Gewohnheit gewesen war, spähte sie nach links in den kleinen Durchgang neben der alteingesessenen Metzgerei Gruber. Am anderen Ende der schmalen Passage stand die Tür zum Café Egger schon offen, eine Frau entfernte gerade die Sicherungsketten von den Tischen und Stühlen, die draußen auf dem kleinen Vorplatz standen. Wunderbar. Lissie ließ alle Vorsätze fahren. Auf zehn Minuten kam es jetzt auch nicht an. Sie musste sowieso noch einmal über alles nachdenken.
Direkt hinter dem Eingang zum Gelass lehnten drei Räder neben der Gruber-Hintertür, vermutlich gehörten die der Belegschaft. Aus undichten Stellen tropfte Wasser von der Decke und verwandelte den am Beginn des Durchgangs noch ungepflasterten Boden in eine matschige, unappetitliche Rutschpartie, wenn man nicht aufpasste. Ein halbes Dutzend prallvoller Müllsäcke standen herum. Lissie warf dem Hinterhof-Stillleben einen scheelen Blick zu und beschloss, als Kundin vorerst einen Bogen um die Metzgerei Gruber zu machen. Sie checkte ihre weißen Armani-Sportschuhe auf eventuelle Spritzer und marschierte nach hinten durch zum Egger. Lissie war der erste Gast. Die Frau, vermutlich war es die Inhaberin selbst, lehnte an der Theke und war in die »Dolomiten« vertieft. Die Bestellung wurde mit einem bloßen Nicken zur Kenntnis genommen. Den Blick weiter fest auf die Zeitung geheftet, setzte die Frau die Espressomaschine in Gang.
Die ist ja genauso gesprächig wie die Renzingerin, dachte Lissie. Könnte glatt ihre Schwester sein. Mit Blick auf die knochige Figur der Frau verwarf sie den Gedanken dann aber wieder.
Bei wortkargen Leuten ließ Lissie erst recht nicht locker. »Steht was Interessantes drin?«
Überrascht schaute die Frau auf. Dass da eine Zugereiste auch noch frech Konversation machen wollte, war offenbar noch nie vorgekommen. »Naaa«, machte sie dann.
»Aber in der Schlagzeile dort ist doch von Mord die Rede. Muss ich mich jetzt fürchten?«
»Naaa«, kam es erneut von der Theke. »Um den war’s net schad. Guat, dass wer Mander den verräumt hot.«
»Ver- wie bitte?«
Sie hätte sich ohrfeigen können, aber es war zu spät. Die Frau presste die Lippen zusammen und rauschte an ihr vorbei auf die Terrasse, um zwei Frauen zu bedienen, die gerade gekommen waren. Lissie schaute ihr nach. An dem Tisch draußen wurden eifrig die Zungen in Gang gesetzt.
Früher hatte sie die Meraner Mundart besser verstanden. Lissie seufzte. Früher war sie auch nicht so hochnäsig und außerdem schlau genug gewesen, die Leute, die sie ausfragen wollte, nicht vor den Kopf zu stoßen. Hatte sie sich in der Bank eigentlich genauso verhalten wie gerade eben? Zu spät, hier wie dort war nichts mehr zu machen.
Es wurde langsam Zeit, dass sie sich auf ihre Ermittlungen konzentrierte. Pavarotti war fest davon überzeugt gewesen, dass ihm Kirchrather, den sie gleich treffen würde, wesentliche Informationen vorenthalten hatte. Dass der Buchhändler ein geschickter Stratege war, davon war Lissie nach dem Bericht Pavarottis überzeugt. Ob sie, die große
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