Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
weiter vor sich hin auf die Tischplatte. Eine weitere Träne rollte nach unten. Pavarotti wollte wieder seine Hand mit dem Taschentuch zum Einsatz bringen, ließ es dann aber doch sein. Sinnlos. »Sie müssen nicht darüber reden. Vielleicht ein andermal, wenn Sie wollen.« Und ohne dass er eigentlich wusste, was er da machte, fuhr er fort: »Sie sollen nur wissen, dass ich Sie gut verstehe. Ich bin mit meinem Erzeuger auch noch lange nicht fertig.« Fast hätte er sich auf die Zunge gebissen. War er jetzt völlig plemplem geworden?
Lissie schaute auf. Pavarotti schwante Fürchterliches. »Stopp!« Er streckte die Hand abwehrend vor. »Erwarten Sie jetzt bloß keine Vertraulichkeiten von mir. Ich wollte nur –«
»Keine Sorge«, unterbrach ihn Lissie und schnäuzte sich wieder lautstark. Würdevoll erhob sie sich. »Sie entschuldigen mich doch kurz? Ich hab einige Reparaturarbeiten zu erledigen.«
Pavarotti grinste und schaute ihr hinterher, als sie durch die Rauchschwaden in Richtung Toilette verschwand. Auf Verdacht, ohne die Bedienung wirklich ausmachen zu können, rief er in Richtung Theke: »Zwei Grappe, bitte!«
Die Grappe mussten bereits fertig eingeschenkt gewesen sein, vermutlich hatten die immer einen Handbestand vorrätig. Nach nur fünf Sekunden knallte das Faktotum die beiden Gläser so heftig auf den Tisch, dass die Flüssigkeit überschwappte, und stierte den Commissario bösartig an. »Nur ein kleiner Streit«, beeilte der sich zu sagen. Jetzt war er offenbar auch hier noch der Buhmann, und die Deutsche hatte schon wieder eine neue Fangemeinde. Es war einfach unfair. »Alles wieder in Ordnung!«
»Des will i o hoffn!«, knurrte der Alt-Hippie und verschwand im Dunst.
VIER
Dienstag, 3. Mai
Am vierten Tag ihres Meran-Urlaubs – wie bitte, Urlaub? – saß Lissie von Spiegel im Frühstücksraum des Hotels Felderer und versuchte verzweifelt, sich nicht mehr zu schämen. Sie blies die Backen auf und probierte noch einmal, die Erinnerung an den gestrigen Abend aus ihrem Kopf herauszupressen, jetzt mit doppelter Kraft. Aber sie war dort fest eingerastet, verflixt und zugenäht. Angeblich war doch Meditation eine Art Allzweckwaffe gegen alle möglichen geistigen Verstopfungen. Sie schloss die Augen und atmete tief. Ein, aus. Ein, aus. Ein, aus. Ihre Augen klappten wieder auf. Null Wirkung. Zero. Tolle Sache, das.
Sie fühlte sich kopflastig, ab der Taille aufwärts wie aufgebläht. Niedergeschlagen beäugte sie ihr Frühstücksei, das in der oberen Hälfte noch fast flüssig, unten dagegen hammerhart gekocht war. Wie kriegten die Küchenfeen vom Felderer solche Granaten hin? Da konnte man ja Zustände bekommen. Der Tag war praktisch schon gelaufen. Am liebsten hätte sie sich wieder ins Bett geschleppt. Was aber nicht ging. Gerade war das Zimmermädchen dabei, ihre völlig zerwühlte Schlafstatt wieder herzurichten. Erst gegen fünf Uhr morgens war sie erschöpft weggedämmert.
Wie furchtbar sie sich vor dem Italiener blamiert hatte. Wo war bloß ihre Coolness geblieben? Sie musste an die Bemerkung des Commissario über seinen eigenen Vater denken und lächelte das erste Mal an diesem Morgen. Pavarotti hatte ihr über den Moment hinweghelfen wollen und es gleich danach bereut. Er hatte ausgesehen, als hätte er gerade auf eine Zitrone gebissen. Seine familiären Probleme bloß anzudeuten, war ihm unangenehm gewesen. Dem Dicken geht’s heute Morgen bestimmt auch nicht viel besser als mir, vermutete sie. Leute wie wir kriegen nach einem Seelen-Striptease regelmäßig einen emotionalen Schnupfen. Mit vereinten Kräften hatten sie ihre Unterhaltung schließlich wieder zurück in ein halbwegs neutrales Fahrwasser gelotst. Der Commissario hatte von der Vernehmung Kirchrathers berichtet. Der habe nur das erzählt, was Pavarotti eh schon wusste.
»Seien Sie morgen bloß vorsichtig und halten Sie sich bedeckt!«, warnte er. »Wenn der Kirchrather merkt, dass es Ihnen in Wirklichkeit um den Mord geht, und dass Sie über Informationen aus erster Hand verfügen, ist es mit Ihrer Recherche vorbei. Und ich kann auch gleich mit einpacken!«
Lissie hatte genickt. »Keine Sorge. Ich mime die harmlose, leicht depressive Deutsche mit Vaterkomplex. Da muss ich mich ja nicht mal sonderlich anstrengen.«
Pavarotti hatte schallend gelacht, ihre Hand ergriffen und schwungvoll zu einem Handkuss an die Lippen geführt. Bevor Lissie protestieren konnte, war es vorbei. Sie war so perplex, dass sie noch nicht mal ihre
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