Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
senkte den Kopf. Emmenegger sah, dass er rote Backen gekriegt hatte. Jetzt geniert er sich, dachte er. »He, Justus, es ist aber gut, dass man weiß, was zu tun ist, falls es mal ernst wird. Vielleicht wirst ja sogar vorgeladen, man kann nie wissen, oder? Aber erst muss die Faktenlage geklärt werden. Auf jeden Fall bist ein wichtiger Zeuge.«
Emmenegger zückte sein Notizbuch und guckte möglichst amtlich. Justus strahlte.
»Erzähl mir einfach mal ein bissl was über den Karl«, forderte Emmenegger den Jungen auf.
»Ooch, der Karl is prima«, erklärte Justus. Dann fiel ihm ein, dass der ja tot war, und ließ den Kopf hängen.
»Komm, sei tapfer«, versuchte Emmenegger ihn aufzumuntern. »Der Karl würde auch wollen, dass man seinen Mörder findet, oder meinst nicht?«
Justus schluckte und nickte schwer.
»Also?«
»Ja mei, wo soll ich denn anfangen? Der Karl war immer nett zu mir, seit ich ihn kenn. Er is wie ein Onkel, als ich klein war, hab ich ihn auch so genannt, Onkel Karl.«
»Wieso Onkel?«
»Er war der beste Freund meines Sohnes«, schaltete sich Elsbeth Hochleitner ein. »Als mein Sohn tödlich verunglückte, hat sich der Karl rührend um den Justus gekümmert. Seine Mutter ist ja schon kurz nach seiner Geburt auf und davon.«
Emmenegger nickte. Der arme Junge. »Und was habt ihr so gemacht, du und der Karl?«
»Er war mit mir oft am Berg, er hat mir’s Klettern beigebracht!«
»So, so. Und wo warst schon überall oben?«
»Letztes Jahr, da haben wir die Hohe Weiße und den Lodner gepackt. Die sind ziemlich schwierig«, erklärte der Kleine stolz. »Schwierigkeitsstufe drei. Dieses Jahr wollten wir zur Sarner Scharte oder auf die Säbelspitze, da sind Vierer-Stellen dabei!«
»Na, da hab ich auch noch was mitzureden«, lächelte seine Großmutter.
»Jetzt ist’s eh damit aus«, kam es leise von Justus. »Der Karl ist ja tot. Wer nimmt mich denn jetzt mit an den Berg?«
»Wir finden eine Lösung, Justus. Ganz bestimmt«, versprach die Hochleitnerin.
Emmenegger sah, dass ihr Justus einen scheelen Blick zuwarf. »Was hat denn dein Onkel immer so geredet?«, fragte er. »Hat er mal was von seiner Familie erzählt oder geschäftliche Sachen? Denk genau nach, Justus. Es ist wichtig!«
Justus fing an, an seiner Unterlippe zu kauen. »Wir sind mal am Todestag vom Vater an den Berg, nach der Totenmesse. Ich war ziemlich …« Justus hielt inne und schlang die Beine um seinen Stuhl. »Jedenfalls«, erzählte der Kleine tapfer weiter, »hat der Karl dann bei der Gipfelrast gesagt, ich soll froh sein, dass mein Vater schon tot ist. Väter machen ihren Söhnen nur Ärger, das hat er gesagt. Da ist Traurigsein noch das Bessere.«
In Emmenegger wallte Empörung hoch. Wie gefühllos musste einer sein, um so was zu einem kleinen Jungen zu sagen, der seinen Vater vermisste? »Hat dein Onkel gesagt, wieso das besser sein soll?«
»Nee«, schniefte der Kleine. »Ich hab ihn gefragt. Aber er hat mir nur über den Kopf gestreichelt, und dann haben wir zusammengepackt und sind runter.«
»Der Karl hat wohl viel Ärger gehabt mit anderen, die Läden und Wirtschaften in den Lauben haben, oder?«
»Ja, schon. Aber darüber hat er kaum was erzählt. Nur sauer war er oft. Die Neandertaler, so hat er sie dann genannt. An den Tagen bin ich nicht gern mit ihm gestiegen. An denen hat er so ein irres Tempo hingelegt, da konnt ich kaum hinterher. Und er hat den Mund nicht aufg’macht am Berg. Da hat er mir immer einen richtigen Schrecken eingejagt.«
»Scheint wohl doch kein so netter Kerl gewesen zu sein, dein Karl, oder?«, entfuhr es Emmenegger unvorsichtigerweise. Die Strafe folgte auf dem Fuß.
»Das dürfen S’ nicht sagen! Sie sind ein ganz gemeiner Kerl! Der Karl war mein Onkel und mein bester Freund und auf den lass ich nichts kommen! Und jetzt sag ich nix mehr und wenn Sie wollen, dann sperren S’ mich halt ein!«, schrie Justus mit Tränen in den Augen. Als er vom Tisch wegpolterte, riss er seinen Stuhl um. Der krachte auf den Boden.
Die heftige Reaktion des Jungen hatte Emmenegger kalt erwischt. Es war doch nur eine recht harmlose Bemerkung gewesen, oder? Oh mei, und er hatte sich schon als Fachmann für die Befragung Minderjähriger gefühlt!
Die Hochleitnerin war blass geworden. Ihre schwarzen, trotz ihres Alters klaren Augen sprühten Funken. »Was erlauben Sie sich, den Karl so schlechtzumachen! Sie überschreiten Ihre Kompetenzen, ich werde mich über Sie beschweren!«, zeterte sie.
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