Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
Vom Netzwerk:
sie diesen Ton ein wenig
barsch. Aber wenn der Kerl das brauchte — warum nicht? Vor
zwei Wochen hatte ein Kunde von ihr verlangt, dass sie erst
strammstand und anschließend — äußerst
locker bekleidet — salutierte. Zwanzigmal hintereinander.
Selbstverständlich hatten sie sich vorher über die Kosten
für diese zusätzliche Leistung geeinigt.
    Sie bückte sich,
wobei sie auf ein routinemäßiges Lächeln
verzichtete — Rekruten auf dem Kasernenhof lächelten
nicht. Dann hob sie den Gehrock auf und ging langsam zum
Schrank.
    *
    Vermutlich, dachte sie
später, hätte sie das Messer nicht entdeckt, wenn ihr der
Gehrock nicht aus der Hand gerutscht wäre, als sie ihn auf den
Bügel hängen wollte. Gerade wollte sie ihn aufheben, da
sah sie, wie sich unter dem Stoff der Außentasche ein
kleiner, schmaler Gegenstand abzeichnete, nicht länger als
eine Hand. Den Rücken zum Bett, bückte sie sich, dabei
ließ sie die Finger ihrer rechten Hand in die Tasche des
Gehrocks gleiten und zog den Gegenstand hervor. Die Petroleumlampe
stand hinter ihr auf dem Nachttisch, sodass ihr Körper einen
Schatten warf, aber das Licht reichte aus, um zu erkennen, was sie
in der Hand hielt: ein längliches Gerät aus Holz, das in
der Mitte einen Schlitz hatte und an einer Seite ein Scharnier.
Dann begriff sie — und ihr Verstand befand sich
plötzlich in freiem Fall —, dass es sich um ein
Rasiermesser handelte.      
    Ein
Rasiermesser.
    Weiß der Himmel,
woher der Entschluss kam, nicht schreiend aus dem Zimmer zu
flüchten. Auf einmal wusste sie, was zu tun war. Was nicht
bedeutete, dass sie keine Angst hatte und ihr das Herz nicht bis
zum Hals klopfte. Als sie sich umdrehte, fühlten sich ihre
Beine an wie Gummi, aber sie schaffte es, die paar Schritte bis zum
Kopfende zu machen, ohne zu straucheln. Es gelang ihr auch, die
Champagnerflasche zu nehmen und dabei zu lächeln. Der Mann
hatte sich halb aufgerichtet und blickte ihr ins Gesicht. Deshalb
entging ihm auch, dass sie die Champagnerflasche am Hals gepackt hatte —
wie eine Keule.
    Sie lächelte
immer noch, als die Flasche auf den Kopf des Mannes herabsauste,
seine Stirn traf und zerplatzte wie bei einer Schiffstaufe. Ein
paar Spritzer landeten auf ihrem Gesicht. Der Mann stieß mit
dem Kopf gegen die hölzerne Rückwand des Bettes, prallte
ab wie eine Billardkugel und kippte dann seitlich weg. Rotes Blut
strömte aus einer Stirnwunde und sickerte in das Kissen. Der
Mann hatte die Augen geschlossen. Er röchelte, und einen
Augenblick später ging das Röcheln in ein flaches,
unregelmäßiges Atmen über. Hätte sie zu diesem
Zeitpunkt noch eine intakte Flasche in der Hand gehabt, so
hätte sie vermutlich ein zweites Mal zugeschlagen -
gewissermaßen, um den Vorgang abzuschließen. Doch das
wäre, wie sich später herausstellte, keine gute Idee
gewesen.
    Also trat sie einen
unsicheren Schritt zurück, kam ins Stolpern und wäre
gefallen, wenn sie sich nicht am Pfosten des Bettes festgehalten
hätte. Dann schloss sie die Augen, machte einen tiefen,
keuchenden Atemzug und stieß den lautesten Schrei ihres
Lebens aus — einen von der Sorte, die mühelos durch
dicke Wände dringt und Gläser zerspringen
lässt.
    Signor Crespi, einen
Bleistift in der Hand, hörte den Schrei, als er gerade die
Anmeldeformulare der letzten Woche ordnete. Das Hotel Imperiale war
kein reines Stundenhotel. Es gab immer eine Reihe von
alleinstehenden Herren, die hier länger logierten und denen er
gerne behilflich war, etwas Passendes für die Nacht zu finden.
Signor Crespi kannte den Artikel in der Gazzetta. Natürlich wusste
er auch, was dem Kollegen in der Pensione Seguso passiert war. Er
sprang von seinem Schreibtisch auf, rannte zur Treppe, kehrte dann
aber wieder zurück, um schnell einen Revolver aus der
Schublade zu ziehen. Die Waffe, die er offiziell gar nicht besitzen
durfte, war nicht geladen, und Signor Crespi besaß auch keine
Munition. Er war davon ausgegangen, dass es in den meisten
Fällen ausreichend war, den Revolver zu zeigen und den Hahn
knacken zu lassen — ein Fall, der bisher noch nie eingetreten
war. Ob er mit seiner Vermutung recht hatte, würde sich jetzt
herausstellen.
    Als Carla Dolci die
Augen wieder öffnete, erkannte sie Signor Crespi unter dem
Türsturz. Er hatte große, vom Schreck geweitete Augen,
hielt einen Revolver in der Hand und sah ausgesprochen
verstört aus. Ihr Verstand war inzwischen nicht mehr in der
Lage, den Ereignissen zu folgen, aber ihr Gefühl

Weitere Kostenlose Bücher