Commonwealth-Saga 2 - Die Boten des Unheils
auszuloten.«
»Huh«, grunzte Campbell. »Sie kommt also auch?«
»O ja.«
Patricia Kantil war tatsächlich der nächste Gast, der auf dem Anwesen eintraf. Sie stieg aus einem Ford Occlat, einem Mittelklassewagen, und sie trug ein schickes Geschäftskostüm von der Stange sowie klassische schwarze Pumps. Ihr augenscheinliches Alter war stets so um die Mitte Fünfzig, alt genug, um vertrauenswürdig zu erscheinen, aber nicht so alt, als dass sie irgendetwas von ihren intellektuellen Fähigkeiten eingebüßt hätte. Um ihre Augen herum erstrahlte ein Geflecht silberfarbener OCTattoos, die so dünn waren, dass sie die meiste Zeit über nicht auffielen. Ihre Frisur und ihr Make-up betonten ihre Latino-Herkunft deutlich. Justine konnte sehen, dass sie eine Menge Geld auf dieses Salon-Styling verwandte, was die Wähler jedoch nicht sehen konnten, weil sie sich stets einen Schritt hinter ihrer Chefin hielt, Elaine Doi.
Die Tatsache, dass Dois wichtigste politische Beraterin ein Wochenende in Seattle verbrachte, kaum zehn Tage, nachdem Vice President Doi ihre Kandidatur angekündigt hatte, war ein verräterisches Zeichen für Justine. Für Patricia würden diese beiden Tage eine wichtige Übung in Lobbyismus werden. Sie hatte ihren Sekretär mitgebracht, einen bemühten jungen Mann in der Art von lässiger Designerkleidung, die urbane Typen stets zu tragen pflegten, wenn sie in ›die Wildnis‹ gingen. Er stand aufmerksam hinter seiner Chefin und redete nur, wenn er direkt angesprochen wurde.
Justine war noch damit beschäftigt, die beiden zu begrüßen, als eine dritte Person aus dem Ford stieg – eine junge Frau mit langen blonden Haaren, ein Stück größer und schlanker als Justine. Ihre Kleidung war unverschämt kostspielig, ein kurzer Rock und ein glänzend goldenes Top mit V-Ausschnitt, das ihre Figur betonte. Sie blickte sich mit der einzigartigen staunenden Aufgeregtheit um, die Justine die Firstliferin verriet, und lächelte begeistert angesichts dessen, was sie sah.
»Und das ist Isabella«, sagte Patricia. »Meine Begleiterin.«
»Hallo zusammen. Schicke Hütte, die ihr hier da habt«, sprudelte Isabella hervor. Sie streckte eifrig die Hand aus und wollte sogleich Freundschaft schließen.
»Danke sehr«, erwiderte Justine. »Es hat eine Weile gedauert, aber wir haben es heute so, wie es uns gefällt.« Es wäre so einfach gewesen, das Mädchen mit Sarkasmus und Ironie zu überschütten, ohne dass es etwas davon bemerkt hätte. Doch das hätte Justine in den Augen Patricias nicht gut dastehen lassen, und an diesem Wochenende konnte sie keinen Krach gebrauchen. »Besorg mir sämtliche Dateien über sie«, befahl sie ihrem E-Butler. Irgendetwas an ihren Gesichtszügen kam Justine vertraut genug vor, um sie vorsichtig werden zu lassen. Isabella entstammte offensichtlich einer der Großen Familien oder einer Intersolaren Dynastie, doch welcher …?
»Isabella Helena Halgarth«, berichtete Justines E-Butler in diesem Augenblick. »Neunzehn Jahre alt. Zweite Tochter von Victor und Bernadette Halgarth.« Eine kleine Datei öffnete sich in Justines virtueller Sicht informierte sie über Isabellas Schulausbildung und akademische Abschlüsse, Hobbys, Interessen und wohltätige Stiftungen, in denen sie sich engagierte. Der übliche Public-Relations-Mist, den die Familien über ihre Mitglieder veröffentlichten.
Verdammt!
Nachdem sie Patricia zu ihrer Lodge geführt hatte, ließ sich Justine durch ihren E-Butler mit Estella Fenton verbinden. »Ich brauche Informationen!«
»Darling, ich fühle mich geehrt«, sagte Estella neckisch. »Was um alles in der Welt weiß ich, das deine Familie nicht weiß?«
»Es geht um dieses Mädchen.« Justines virtueller Finger berührte ein Symbol und sandte Estella die kleine Datei über Isabella Halgarth. »Du bist die Königin des Klatsches. Ich muss wissen, welche Position sie wirklich bei den Halgarths bekleidet.«
»Würde mich jemand anderes so fragen, würde ich entrüstet reagieren«, sagte Estella.
»Bitte! Ich kenne den Status fast jedes Mitglieds der Großen Familien, aber die Halgarths sind eine Intersolare Dynastie!«
»Ich weiß, Darling, ich weiß. Neureiche Außenweltler, die schlimmste Sorte. Ich habe mein eigenes Profil über sie hier. Was genau möchtest du wissen?«
»Ist sie wichtig?«
»Eigentlich nicht, nein. Fünfzehnte Generation, und Victor ist lediglich die elfte. Sowohl Vater als auch Tochter sind Invitro-Geborene, also nicht direkte Linie,
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