Commonwealth-Saga 3 - Der entfesselte Judas
mehrere Meter weit weg am Haken – zu weit, um aufzustehen und hinzugehen. »Danke sehr, ich glaube, ich verstehe allmählich. Ihr Beruf ist nicht überbezahlt, und berühmt werden Sie auch nicht.«
»Es sei denn, man heißt Bose.«
»Also, kurzum: Sie wissen nicht, was Sie im Laufe der letzten zwanzig Jahre vom Mars empfangen haben.«
Jennifer Seitz lächelte verlegen. »Genau das, ja. Obwohl ich gerne darauf hinweisen würde, dass ich erst seit sieben Jahren Direktor dieses Observatoriums bin und davon zwei Jahre in der Rejuvenation war. Ich habe den Kontrakt nicht geschlossen, und keiner von denen, die heute hier arbeiten, war in den Abschluss verwickelt. Die ganze Angelegenheit wird von ein, zwei Subroutinen in der RI gesteuert.«
»Und wer hat den Kontrakt geschlossen?«
»Director Rowell hatte die Leitung des Observatoriums inne, als die Lambeth Association mit ihrem Projekt angefangen hat. Ich glaube, er ist nach Berkak gegangen, wo man ihm an einer neuen Universität den Posten des Dekans angeboten hat.«
»Danke sehr. Ich werde dafür sorgen, dass er vernommen wird.« Renne sog weitere dünne Luft in ihre Lungen; der Sauerstoffmangel machte sie schwindlig. Es war kein unangenehmes Gefühl, doch ihre Gedanken arbeiteten träge. »Ich möchte Ihnen eine Frage stellen: Was könnte es Ihrer Meinung nach auf dem Mars geben, das für eine Bande von Terroristen wie die Guardians of Selfhood von Interesse ist?«
»Das ist wirklich das Dumme an der Geschichte – überhaupt nichts. Und ich sage das völlig unvoreingenommen. Der Mars ist eine vollkommene Ödnis. Eine gefrorene, luftleere Wüste. Ich bitte Sie – die Sache ist einfach lächerlich. Der Mars hat keine Geheimnisse, keinen Wert, keine Bedeutung für irgendwen. Ich bin immer noch nicht sicher, ob Ihre Leute nicht einen Fehler gemacht haben.«
»Erzählen Sie mir von Cufflin.«
Jennifer Seitz verzog das hübsche Gesicht. »Meine Güte, ich weiß nichts! Er war ein technischer Assistent, weiter nichts. Ein ganz normaler Techniker, der sich für einige Jahre bei einem erbärmlich armen Forschungsinstitut verdingt hatte, um seine Rejuvenation zu finanzieren. Bis gestern hätte ich geschworen, dass ich seine Lebensgeschichte besser erzählen kann als er selbst. Unglaublich langweilig, das alles. Wir verbringen jedes Mal drei Wochen hier oben, wofür wir hinterher eine Woche frei kriegen. Er wurde vor dreieinhalb Jahren hierher versetzt. Ich will gar nicht daran denken, wie viel Zeit wir seit damals in diesem Gebäude verbracht haben. Und plötzlich stellt sich heraus, dass er ein Terrorist war, der das Commonwealth stürzen will. Herrgott – das ist Dan Cufflin! Sieben Jahre vor der Rejuvenation, und er kann es gar nicht mehr abwarten, bis es endlich so weit ist! Er liebt indisches Curry, hasst chinesisches Essen, sieht zu viele Softcore-TSIs, hatte eine Frau in seinem Leben, und die Ehe ging schief. Einmal im Jahr, an Ostern, besucht er sein Enkelkind. Seine Füße riechen. Er ist ein zweitklassiger Programmierer, ein durchschnittlicher Mechaniker und bringt uns andere zur Verzweiflung mit seinem Stepptanz. Er ist ein schlechter Tänzer. Was zur Hölle ist das für ein Terrorist, der sich in seiner Freizeit mit Stepptanz beschäftigt?«
»Ein schlechter?«, entgegnete Renne trocken.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass er das getan hat.«
»Es sieht jedenfalls alles danach aus, als wäre er schuldig. Wir werden selbstverständlich unsere eigenen Nachforschungen anstellen. Ich rechne damit, dass Sie alle bei der Gerichtsverhandlung als Zeugen aufgerufen werden.«
»Sie nehmen ihn mit?«
»Selbstverständlich. Was dachten Sie denn?«
Irgendwie gelang es Renne, sich zurück zum VTOL zu schleppen, ohne dass ihr Unwohlsein allzu offensichtlich wurde, während sie sich auf Phil Mandia stützte. Zwei Navy-Leute eskortierten Dan Cufflin hinter ihr zum Flugzeug. Er wurde auf der anderen Seite des Ganges auf einen Sitz gestoßen, und Fesseln aus Malmetall flossen über seine Handgelenke und Knöchel, sodass er sich nicht mehr bewegen konnte. Nicht, dass er ausgesehen hätte, als könnte er einen Fluchtversuch unternehmen. Jennifer Seitz hatte ihn richtig eingeschätzt. Cufflin näherte sich unübersehbar dem Zeitpunkt, an dem er dringend eine Rejuvenation benötigte. Er war ein groß gewachsener Mann, dem es irgendwie gelungen war, nicht übergewichtig zu werden. Sorge und Niedergeschlagenheit spiegelten sich auf seinem Gesicht und ließen seine
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