Conan-Saga 01 - Conan
flüchtigen Gedanken, durch welche Abgründe tierischer Primitivität sich die Menschheit mühsam emporgerungen hatte.
»Er sieht uns doch«, brummte Conan. »Warum greift er uns nicht an? Er könnte das Fenster doch mit Leichtigkeit zerschmettern!«
Murilo wurde klar, daß der Barbar den Spiegel für ein Fenster hielt, durch das sie schauten.
»Er sieht uns nicht«, versicherte ihm der Priester. »Wir blicken durch dieses Glas in das Gemach über uns. Die Tür, die Thak bewacht, wie wir sehen, ist am oberen Ende dieser Treppe. Daß wir in das Zimmer oben schauen können, verdanken wir dieser Anordnung von Spiegeln. Seht Ihr die dort an der Wand? Sie leiten das Bild des Raumes in diese Röhren, durch die weitere Spiegel es hier herunterführen, um es schließlich vergrößert auf diesen breiten Spiegel zu werfen.«
Murilo ahnte, daß der Priester seiner Zeit um Jahrhunderte voraus war, um so etwas auszudenken und zu bauen. Conan dagegen betrachtete es als eine Art Zauberei und zerbrach sich nicht weiter den Kopf darüber.
»Ich errichtete diesen Keller sowohl als eine Art Verlies als auch als Unterschlupf. Ich habe schon so manchesmal hier Zuflucht gesucht und durch diese Spiegel beobachtet, wie jenen, die in böser Absicht zu mir kamen, ein gerechtes Geschick widerfuhr.«
»Aber weshalb bewacht Thak diese Tür?« fragte Murilo.
»Er muß das Schließen des Fallgatters gehört haben. Wenn es herunterschnellt, löst es oben, durch eine Anordnung von Glocken, ein Klingeln aus. Er weiß, daß sich jemand im Tunnel aufhält und wartet auf sein Erscheinen. Oh, er war ein gelehriger Schüler! Er hat gesehen, was allen, die durch die Tür traten, zustieß, wenn ich an der Kordel an der Wand dort zog. Und nun möchte er es mir gleich tun.«
»Und was können wir unternehmen, solange er so geduldig herumsitzt?«
»Ich fürchte, nichts, außer ihn zu beobachten. Solange er sich in diesem Gemach aufhält, dürfen wir es nicht wagen, die Treppe hochzusteigen. Er hat die Kraft eines echten Gorillas, und es würde ihm nicht schwerfallen, uns alle zu zerreißen. Aber er braucht seine Muskeln gar nicht anzustrengen. Es genügt, daß er an der bewußten Kordel zieht, wenn wir die Tür öffnen, um uns in die Ewigkeit zu schicken.«
»Wie?«
»Ich versprach, Euch bei der Flucht zu helfen«, antwortete der Priester, »nicht, Euch meine Geheimnisse zu offenbaren.«
Murilo wollte etwas sagen, da erstarrte er plötzlich. Eine Hand zog verstohlen die Vorhänge einer der Türen des Gemachs oben ein wenig beiseite. Ein dunkles Gesicht schob sich vorsichtig hindurch. Die glitzernden Augen richteten sich drohend auf den Rücken der Gestalt in der roten Robe.
»Petreus!« zischte Nabonidus. »Mitra, eine wahre Versammlung von Geiern heute nacht!«
Das Gesicht verharrte zwischen den zurückgezogenen Vorhängen. Weitere Gesichter spähten über die Schulter des vorderen – dunkle, schmale Gesichter, die vor Aufregung zu glühen schienen.
»Was suchen die denn alle hier?« murmelte Murilo und senkte unwillkürlich die Stimme, obgleich er wußte, daß man ihn oben nicht hören konnte.
»Nun, was glaubt Ihr, wollen Petreus und seine hitzigen jungen Nationalisten im Hause des Roten Priesters?« Nabonidus lachte. »Seht doch, mit welcher Erwartung sie auf die Gestalt starren, die sie für die ihres Erzfeindes halten. Sie sind dem gleichen Irrtum erlegen wie Ihr. Es dürfte ergötzlich sein, ihre Mienen zu beobachten, wenn sie eines Besseren belehrt werden.«
Murilo schwieg. Das Ganze erschien ihm so unwirklich. Ihm war, als wäre er Zuschauer bei einem Puppenspiel, oder ein körperloser Geist, der unsichtbar und unerahnt die Lebenden beobachtet.
Er sah, wie Petreus warnend einen Finger an die Lippen legte und seinen Mitbeschwörern zunickte. Murilo war sich nicht klar, ob Thak sich der Eindringlinge bewußt war. Der Affenmensch hatte seine Haltung nicht verändert. Er saß reglos, den Rücken der Tür zugewandt, durch die die Eindringlinge jetzt hereinschlichen.
»Sie kamen auf die gleiche Idee wie Ihr«, flüsterte Nabonidus in Murilos Ohr. »Nur sind ihre Gründe patriotischer, nicht selbstsüchtiger Natur. Nun, da mein Hund tot ist, dürfte es nicht schwierig sein, sich Einlaß in mein Haus zu verschaffen. Oh, welch eine Gelegenheit, mich dieser Bedrohung ein für allemal zu erledigen! Säße ich nur, wo Thak sitzt – ein Sprung zur Wand, ein Zug an der Kordel ...«
Petreus hatte bereits einen Fuß über die Schwelle gesetzt,
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