Conan-Saga 47 - Conan das Schlitzohr
deiner Wunden.« Conan trank den Becher aus. Diesmal hatte er keine Angst, daß Drogen oder Gift beigefügt sein könnte. Oppia bat ihn aufzustehen. Dann trocknete sie ihn ab und rieb eine Salbe auf die offenen Wunden.
»So«, erklärte sie. »Mehr können wir im Augenblick nicht tun. Zieh dich an und geh auf dein Zimmer, falls du die Stufen schaffst.«
»Ich schaffe es«, versicherte er ihr. »Ich war schon schlimmer verletzt.«
»Ich schicke von Zeit zu Zeit einen Jünger. Er soll nach dir sehen. Sag ihm, wenn du etwas brauchst.«
»Ich danke dir«, sagte Conan. »Bist du sicher, daß Andolla nichts dagegen hat, daß du einen gemieteten Schwertkämpfer in seiner Wanne baden läßt?«
»Mein Gatte ist in letzter Zeit viel zu beschäftigt, um sich darum zu kümmern, was ich tue. Geh jetzt. Ich besuche dich morgen früh.«
Conan legte nur das Lendentuch um, nahm die übrigen Sachen unter den Arm und suchte sein Zimmer auf, das ihm unverändert vorkam. Dann ging er schnell über den Gang zu Rietta. Sie schlief friedlich und sah nicht mehr so schwach aus wie zuvor. Er roch keinen Rauch.
Es schien, als hielten die Veränderungen im Tempel Andolla und Oppia so in Atem, daß sie sich um Rietta nicht mehr kümmerten. Er versicherte sich, daß der Wachspfropfen noch im Rohr am Fenster steckte. Dann schloß er leise die Tür.
In seinem Zimmer ließ er sich aufs Bett fallen und schlief sofort ein.
Als Conan aufwachte, hatte er das Gefühl, als wäre sein Körper aus Holz geschnitzt: steif und unbiegsam. Stöhnend setzte er sich mühsam auf und schwang die Beine über den Bettrand. Dann zwang er sich dazu, aufzustehen. Langsam streckte er Arme und Beine, bis die Steife aus den Muskeln verschwand. Es war eine überaus schmerzhafte Methode, aber mit ihrer Hilfe würde er sich bald wieder bewegen können. Jemand klopfte an die Tür. Conan griff zum Schwert.
»Tritt ein!« rief Conan. Ein Jünger trat ein und machte große Augen, als er den beinahe nackten Hünen mit dem Schwert und den vielen Blutergüssen sah.
»Meine Herrin schickt mich. Ich soll nachsehen, ob du wach bist und etwas brauchst«, sagte der junge Bursche und verneigte sich tief mit gefalteten Händen. Der Cimmerier wollte eigentlich nur schlafen, aber er mußte an Rietta denken.
»Bring mir etwas zu essen«, verlangte er. »Brot, Fleisch, eine kräftige Brühe und Obst.« Der Jünger verneigte sich wieder und verschwand. Conan war tatsächlich nicht besonders hungrig, aber er wußte, daß Rietta in den letzten beiden Tagen nichts Ordentliches gegessen hatte. Nachdem der Jünger das Essen gebracht und wieder gegangen war, eilte Conan in Riettas Zimmer.
»Conan!« Rietta saß in ihrem Bett. Ihre Augen wurden bei seinem Anblick groß, aber zum ersten Mal waren sie hell und klar. »Wo bist du ... was ist geschehen?«
»Diese Frage kann ich nicht mehr hören«, sagte er und stellte das Tablett mit dem Essen vor ihr Bett. »Hier, du brauchst etwas Vernünftiges nach zwei Tagen Haferschleim.«
»Gestern haben sie sogar den Haferschleim vergessen«, sagte Rietta und riß sich den Kanten vom Brotlaib.
»Ich wollte kommen, aber ich mußte die Nacht im Gefängnis verbringen.« Er sah ihr beim Essen zu. Ihr Appetit war zurückgekommen. Zufrieden nickte er.
»Steh mal auf und geh im Zimmer umher.« Sie gehorchte ihm. Er beobachtete sie. Ihre Schritte waren noch nicht ganz natürlich, aber fest und sicher. Er wußte, daß er nicht warten konnte, bis sie wieder ganz zu Kräften gekommen war. In diesem Tempel gingen seltsame Dinge vor, und er hatte das Gefühl, daß alles noch viel seltsamer werden würde.
»Du kannst nicht länger hierbleiben«, sagte er. »Ich bringe dich heute nacht ins Haus deines Vaters. Halte dich bereit.«
»Heute nacht?« Das Lächeln, das sich auf Riettas Gesicht ausbreitete, war der erste normale Ausdruck, den Conan im Tempel gesehen hatte. Dann verschwand das Lächeln. »Aber wie kann ich ihm vor die Augen treten? Ich habe ihn bestohlen und habe zugelassen, daß diese schrecklichen Leute mich wie eine Marionette benutzt haben. Wie konnte ich das nur tun?« Sie wurde vor Scham tiefrot.
»Sie haben deinen Schmerz nach dem Tod deiner Mutter ausgebeutet«, erklärte Conan. »Danach haben sie dich mit Drogen geschwächt, bis zu keinen eigenen Willen mehr hattest. Die Tatsache, daß sie dich absondern und unter Drogen setzen mußten, zeigt, daß du viel stärker als die anderen im Tempel bist. Dein Vater wird dir verzeihen, Mädchen.
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