Conan-Saga 47 - Conan das Schlitzohr
nicht teilen, sondern sich vielen Gottheiten verschrieben haben. Und in keinem Land der Erde sind die Menschen so götterbesessen wie in Stygien.« Er lehnte sich zurück und lächelte. »Ich habe dir zwar gesagt, daß ich ein kleiner Zauberer bin, doch das heißt nicht, daß ich abergläubisch bin. Magie und die Werke der Götter vollziehen sich nach bestimmten, unveränderlichen Gesetzen. Nur die höchsten Magier und Priester haben diese Gesetze studiert. Die Götter sind keineswegs das, wofür die meisten Menschen sie halten. Für den landläufigen Gläubigen ist ein Gott nur ein außerordentlich mächtiger Mensch, den man besänftigen muß. Doch Götter sind ganz anders. Das kann ich dir versichern.
Nimm die Sache mit den heiligen Tieren. Die Götter stammen nicht von dieser Erde, sondern aus den riesigen Abgründen des Raums. Warum sollten sie durch irdische Tiere repräsentiert werden oder sogar deren Gestalt annehmen? Ich verrate dir warum: weil die Menschen diesen unbegreiflichen höheren Wesen eine ihnen ähnliche Gestalt geben wollen. Nehmen wir Selkhet zum Beispiel. Grabräuber verrichten nachts ihre schmutzige Arbeit. Wenn man in Gräber eindringt, trifft man meist auf zwei Arten giftiger Geschöpfe: Schlangen und Skorpione. Schlangen sind nachts träge und beißen selten. Skorpione jedoch sind im Dunkeln am lebhaftesten und stechen die Grabräuber oft. In Stygien gibt es Skorpione, die mit einem einzigen Stich töten können. Deshalb ist der Skorpion für schlichte Gemüter das heilige Tier Selkhets, der Wächterin der Gräber. Kannst du mir folgen, mein Lieber?«
»Bis jetzt schon«, antwortete Conan.
»Ausgezeichnet, mein Freund, ausgezeichnet. Selkhet ist ein unvorstellbar mächtiges Wesen von einem weit entfernten Stern, doch in Stygien wird sie in dreierlei Gestalt abgebildet: als schöne Frau mit einem Skorpion als krönendem Kopfschmuck, als Skorpion mit einem Frauenkopf oder einfach nur als Skorpion. Was weißt du über Python?« Er verschränkte die Finger über dem dicken Bauch. Im Kerzenschein funkelten die protzigen Ringe auf seinen Wurstfingern.
»Die Hauptstadt des längst vergangenen Acheron, eine Stadt aus uralter Sage.«
»Sehr gut. Die Menschen Acherons waren nahe Verwandte der heutigen Stygier. Beide stammen von dem noch älteren Volk Lemuriens ab. Das Königreich Acheron grenzte im Norden, Stygien im Süden an Lemurien. Ach, wenn du doch die Purpurtürme Pythons sehen könntest! Ich habe sie in meinen mystischen Visionen erblickt und kann dir versichern, daß die großartigsten Städte unserer Zeit im Vergleich zu Python armselig und schäbig wirken. Python war zehnmal so groß wie Luxur, die größte Stadt Stygiens. Die Obelisken dort sind hoch genug, um den Mond zu durchbohren. Sein Reichtum war unvorstellbar, und seine Magier und Priester sind die mächtigsten, die die Welt je gesehen hat.« Casperus' Stimme klang traurig, aber er fuhr wie ein berufsmäßiger Geschichtenerzähler fort.
»Während die Jahrtausende in ihrer steten Drehung fortfuhren, wurde Acheron dekadent. Das meiste seiner magischen Kunde geriet in Vergessenheit. Die barbarischen Hyperborier überwältigten die degenerierten Erben des einst so großen Reichs und verjagten sie wie Spreu im Sturmwind. Viele Acheronier flohen in den Süden, um bei ihren Vettern, den Stygiern, Unterschlupf zu suchen. Stygien war – im Gegensatz zu Acheron – auf dem Höhepunkt seiner Macht und hielt die Hyperborier am Styx auf, den diese seit damals jahrhundertelang nicht mehr überschritten. Und nun kommen wir zum Kern der Geschichte.«
»Wird auch Zeit«, meinte Conan mürrisch. Der Kaufmann fuhr fort, als hätte er die grobe Bemerkung nicht gehört.
»Die Anfänge dieser Geschichte sind im Buch von Skelos überliefert, doch man muß wissen, daß das meiste dieses gewaltigen Werks im Delirium verfaßt wurde. Deshalb hegen viele Zweifel an seiner Bedeutung. Aber es ist gänzlich zuverlässig. Jeder große Magier kann es verstehen, so einer bin ich leider nicht.«
Conan unterdrückte ein Stöhnen. Das war erst der Anfang der Geschichte?
»Unter den pythonischen Flüchtlingen waren auch die Priester Selkhets. Diese mächtige und reiche Priesterschaft war traurig geschrumpft. Die wilden Hyborer hatten ihre Tempel und Schatzkammern gestürmt. Die Priester hatten nur Bücher mitgenommen, die sie unter dem Arm tragen konnten. Ja, das waren traurige Zeiten für die Priester. Doch dann fanden sie im Gottkönig Khopshef dem
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