Conan-Saga 47 - Conan das Schlitzohr
Conan drehte sich nicht um. Er hielt eine Kerze hoch und betrachtete die Bronzestäbe aus der Nähe. Da war noch ein Loch. Er bückte sich und tat so, als wolle er das untere Ende eines Stabs untersuchen. Dabei roch er den Lotusduft. Aha, so wurde der Rauch ins Zimmer gepumpt und wohl wieder abgesaugt! Mit einem großen Blasebalg konnte man das leicht bewerkstelligen. Conan richtete sich auf.
»Nein, die Stäbe sind unbeschädigt. Ich nehme an, es war wieder der Dämon.«
»Für einen Mietling nimmt er sich ziemlich viel heraus«, erklärte Andolla wütend. »In unserem Haus ist kein Platz für einen ungläubigen nackten Wilden.«
»Gestatte, daß ich mich um ihn und das Mädchen kümmere, Heiliger«, sagte Oppia. »Du hast die schwere Bürde der Riten und deiner Studien. Da mußt du dich nicht um so lächerlich unwichtige Dinge sorgen. Bitte, teurer Gatte, geh wieder in dein Studierzimmer und überlaß hier alles mir.«
Der hochgewachsene Priester sammelte seine angeschlagene Würde. »Wie du meinst, Teuerste. Doch versteh, daß die Anwesenheit dieses ungläubigen Barbaren unsere Mutter Doorgah beleidigt.«
»Mutter Doorgah hat für jeden Menschen Verwendung«, erinnerte sie ihn. »Ich werde mich um alles kümmern.« Der Priester ging mit finsterer Miene. »Ihr könnt auch gehen«, befahl Oppia den Jüngern.
Als sie fort waren, packte Oppia Rietta an den Schultern. Sofort kehrte die Panik zurück in die Augen der jungen Frau. Oppia schlug ihr mehrmals ins Gesicht; rote Flecke blieben auf den blassen Wangen zurück.
»Du hast zugelassen, daß es wiedergekommen ist!« rief Oppia. »Aufgrund deiner Schwäche und deines Mangels an wahrem Glauben hast du es wiederkommen lassen! Andolla mit der großen Seele und ich bemühen uns Tag und Nacht, um es mit heiligen Riten und Magie in der Geisterwelt zu halten, wo es hingehört. Wie kannst du nur so selbstsüchtig sein? Du bringst mich zur Verzweiflung, Kind. Bald wird sogar Mutter Doorgah an dir verzweifeln. Wenn du ihr nicht Beweise deiner Hingabe bringst, werden unsre Schutzzauber wirkungslos sein; denn einzig Mutter Doorgahs Liebe zu dir verleiht unseren Riten die Macht, dich zu beschützen. Vergiß deine Selbstsüchtigkeit und zeig Mutter Doorgah, daß du sie liebst! Nur Gold oder Juwelen sind ihr als Opfergaben gefällig, da diese Dinge ihr heilig sind. Für uns, auf dieser unwichtigen, vergänglichen Ebene, ist das alles eitler Tand, aber in der höheren Welt der Götter sind sie magisch. Bring uns Gold und Juwelen, damit wir sie Mutter Doorgah übergeben und dich so von dem Fluch befreien können, der deine Ahnfrauen seit Generationen ins Verderben getrieben hat.« Sie ließ Riettas Schultern los. Angewidert schaute sie zu, wie das Mädchen in fassungsloses Schluchzen ausbrach.
Conan schob Oppia beiseite und hob Rietta hoch. Sie wog beinahe nichts. Seine Hand konnte beide Schenkel umfangen, so gefährlich abgemagert war sie. Behutsam legte er sie aufs Bett und deckte sie zu.
»Das reicht«, erklärte er. »Laß uns draußen sprechen.«
Auf dem Gang schloß er Riettas Tür, auch das Guckloch. Oppia beobachtete ihn aufmerksam. Sein beinahe nackter Körper war muskelbepackt und von Narben übersät. Die Spuren von Klingen und Klauen waren überall zu sehen. Doch mehr als alle Narben wirkte die Selbstsicherheit des Cimmeriers gefährlich. Er bewegte sich wie ein Tiger. Es gab viele kräftige Männer, doch die Geschmeidigkeit der Bewegungen, verbunden mit Conans verblüffender Schnelligkeit, machten ihn zu einem unvergleichlichen Kämpfer. Das alles sah auch die Frau, die ihn jetzt von Kopf bis Fuß musterte.
»Sie wird nicht mehr lange leben, wenn sich nichts ändert«, erklärte Conan.
»Noch nie hat sich ein Jünger so gesträubt«, sagte Oppia. »Ich weiß nicht, ob sie nur verstockt ist oder grenzenlos dumm. Bei dieser Panik kann sie gewiß mehr aus ihrem Vater herausholen.«
Conan lächelte. »Überlaßt sie mir. Ich werde sie überzeugen.«
»Das würde mein Gatte nie erlauben.«
»Du kümmerst dich doch um alles. Laß mir freie Hand, und der Vater wird alles für seine Tochter tun.«
»Nun gut«, sagte Oppia zögernd. »Du hast meine Erlaubnis. Glaubst du, daß du sie bald überzeugt hast?«
»Ich muß«, antwortete Conan. »Diese Stadt steht kurz vor einer Katastrophe. Entweder wird sie bis auf die Grundfesten abbrennen, oder Truppen des Königs kommen, um die Ordnung wiederherzustellen. Beides ist für dich nicht günstig. Es ist Zeit,
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