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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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können.«
    »Es tut mir leid, wenn meine und Huygens’ Neigung übereinzustimmen Euch Kummer macht.«
    »Ihr könnt übereinstimmen, so viel Ihr mögt. Aber warum stimmt Ihr nicht mit Isaac überein? Erkennt Ihr nicht die Großartigkeit dessen, was er geleistet hat?«
    »Das erkennt jeder empfindungsfähige Mensch«, gab Leibniz zurück. »Und fast alle werden von der Brillanz seiner Leistung so geblendet sein, dass sie außerstande sind, die Fehler wahrzunehmen. Das können nur wenige von uns.«
    »Herumzukritteln ist leicht.«
    »Im Gegenteil, es ist ziemlich schwierig, denn es führt zu Diskussionen wie dieser hier.«
    »Sofern Ihr keine Alternativtheorie vorlegen könnt, die den angeblichen Fehlern abhilft, solltet Ihr meiner Meinung nach Eure Kritik an den Principia mäßigen.«
    »Ich bin noch dabei, meine Theorie zu entwickeln, Monsieur Fatio, und es kann noch viel Zeit vergehen, bis sie nachprüfbare Voraussagen liefert.«
    »Welche denkbare Theorie könnte die Unterscheidbarkeit dieser beiden Planeten erklären, ohne sich auf ihre Position im absoluten Raum zu beziehen?«

    Das führte zu einem Zwischenspiel draußen im Schnee. Von Fatio wachsam beäugt, drückte Doktor Leibniz zwei Handvoll Schnee zu einem Klumpen zusammen. »Unbesorgt, Monsieur Fatio, ich werde ihn nicht nach Euch werfen. Wenn Ihr so freundlich wärt, zwei weitere zu machen, ungefähr so groß wie Melonen und einander so ähnlich wie möglich.«
    Fatio konnte sich nicht recht für die Aufgabe erwärmen, doch schließlich ging er in die Hocke und begann zwei Bälle zu rollen, wobei er alle paar Schritte innehielt, um die rauen Kanten abzuklopfen.
    »Sie sind der Ununterscheidbarkeit so nahe, wie ich es unter den gegebenen Umständen vermag – das heißt, in der Dämmerung und mit kalten Händen«, rief er Leibniz zu, der sich einen Steinwurf weit weg mit einer Schneekugel abmühte, die mehr wog als er. Als keine Reaktion erfolgte, murrte er: »Ich werde hineingehen und mir die Hände wärmen, wenn es recht ist.«
    Doch bis Nicolas Fatio de Duillier in Leibniz’ Büro zurückgekehrt war, waren seine Hände so warm, dass er einiges tun konnte. Er warf erneut einen Blick auf die in dem chinesischen Buch steckenden Papiere. Der Brief von Eliza war ungewöhnlich lang und schien ganz und gar aus leerem Geplapper über die Garderobe der Hochzeitsgäste zu bestehen. Doch obenauf lag das andere Dokument, an den Doktor adressiert, aber in seiner Schrift geschrieben. Ein Rätsel.Vielleicht war das Buch ein Schlüssel? Es hieß I Ging. Fatio hatte es schon einmal gesehen, nämlich in der Bibliothek des Gresham’s College, wo Daniel Waterhouse darüber eingeschlafen war. Das Bündel Papiere diente als Lesezeichen für ein bestimmtes Kapitel mit dem Titel 54. Kuei Mei: Das heiratende Mädchen. Das Kapitel selbst war eine Ansammlung von Gewäsch und mystischem Geschwafel.
    Er legte es an die Stelle zurück, wo er es gefunden hatte, und ging hinüber zu dem einzigen, winzigen Fenster des Schuppens. Mittlerweile stemmte Leibniz den Rücken gegen eine gewaltige Schneekugel, die er durch Drücken mit beiden Beinen weiterzuwälzen suchte. Fatio schlenderte einmal durch das Zimmer und blieb da und dort stehen, um rasch in auffälligen Papierstapeln zu blättern, die sich seinen großen fahlen Augen darboten. Solche Stapel gab es mehrere: Briefe von Huygens, von Arnauld, von den Bernoullis, dem verstorbenen Spinoza, Daniel Waterhouse und jedem anderen in der Christenheit, der auch nur einen Funken Verstand besaß. Einer der größeren Stapel jedoch bestand aus Briefen von Eliza. Fatio griff mitten hinein, fasste
mit Daumen und Zeigefinger ein halbes Dutzend Blätter und zog sie rasch heraus. Er faltete sie und stopfte sie in seine Brusttasche. Dann wagte er sich wieder ins Freie.
    »Habt Ihr warme Hände, Monsieur Fatio?«
    »Überaus warme, Doktor Leibniz.«
    Der Doktor hatte die drei Schneekugeln – die riesige und die beiden kleinen, ununterscheidbaren – auf dem Feld zwischen dem Stall, dem Schloss und dem nahegelegenen Arsenal verteilt. Das von ihnen definierte Dreieck war nichts Besonderes, da weder gleichseitig noch gleichschenkelig.
    »Starb so nicht Sir Francis Bacon?«
    »Descartes auch – er ist in Schweden erfroren«, gab der Doktor fröhlich zurück, »und wenn Leibniz und Fatio neben Bacon und Descartes in die Annalen eingehen, so kann unser Leben als erfüllt gelten. Wenn Ihr jetzt so freundlich wärt, Euch dorthin zu stellen und mir Eure

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