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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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aufzubauen. Denn der korrekte Standort eines Buches lässt sich durch Bildung des Produkts aus den verschiedenen Primzahlen finden, die seinen Themen entsprechen. Auch wenn diese Zahlen mehrere Stellen lang werden, stellt das keine große Schwierigkeit dar; überhaupt ist es ja wohlbekannt, dass Ihr eine Maschine erfunden habt, die mit großer Leichtigkeit Zahlen multiplizieren kann, und sie ist, wie mir nun klar wird, bloß ein Element der riesigen Wissensmaschine, die Ihr zu bauen gedenkt.«
    »In der Tat, alle diese Dinge gehören zusammen und können als Aspekte meiner Ars Combinatorica gelten. Ihr hattet eine Frage?«
    »Ich fürchte, dass Eure Bibliothek, wenn sie einmal gebaut ist,
schwer zu verstehen sein wird. Ihr habt den Kaiser in Wien um Hilfe gebeten, nicht wahr?«
    »Ohne die Ressourcen eines großen Königreiches ist es nicht zu machen«, sagte Leibniz vage.
    »Nun gut, vielleicht steht Ihr auch mit einem anderen bedeutenden Fürsten in Verbindung. Jedenfalls hat es den Anschein, als würdet Ihr Eure Wissensmaschine in gewaltigem Maßstab verwirklichen wollen.«
    »Mittel aufzubringen ist ein ständiges Problem«, sagte der Doktor, noch immer sehr unbestimmt.
    »Ich sage voraus, dass Ihr Erfolg haben werdet, Doktor Leibniz, und dass sich eines Tages in Berlin, Wien oder gar Moskau eine Wissensmaschine von gewaltigen Ausmaßen erheben wird. Die Regale werden sich über unzählige Meilen erstrecken und mit Büchern bestückt sein, die allesamt gemäß den Regeln Eures Systems angeordnet sein werden. Doch ich fürchte, ich könnte mich im Inneren dieses Ortes leicht verirren. Bei Betrachtung eines Regals sähe ich vielleicht eine achtoder neunstellige Zahl. Ich wüsste, dass es sich um eine zusammengesetzte Zahl, um das Produkt aus zwei oder mehr Primzahlen handelt. Doch eine solche Zahl in ihre Primfaktoren zu zerlegen ist ein notorisch schwieriges und langwieriges Problem. Mit anderen Worten, dieser Methode eignet eine merkwürdige Asymmetrie, die darin liegt, dass Aufbau und Ordnung der großen Bibliothek für ihren Schöpfer klar wie Glas sein werden – einem einsamen Besucher dagegen werden sie wie ein düsteres Labyrinth aus undurchdringlichen Zahlen erscheinen.«
    »Das will ich nicht leugnen«, antwortete Leibniz, ohne zu zögern, »doch ich sehe darin eine Art Schönheit, ein Spiegelbild des Aufbaus des Universums. Die Situation des einsamen Besuchers, wie Ihr sie beschrieben habt, ist mir durchaus vertraut.«
    »Das ist sonderbar, denn ich stelle mir Euch als den Schöpfer vor, der mit der Hand am Bücherrad dasteht und alles versteht.«
    »Ihr solltet Folgendes über mich wissen: Mein Vater war ein gelehrter Mann, der eine der schönsten Bibliotheken von Leipzig besaß. Er starb, als ich noch sehr klein war. Infolgedessen erlebte ich ihn nur als Wirrwarr kindlicher Wahrnehmungen – zwischen uns gab es Gefühle , aber niemals irgendeine rationale Verbindung, also vielleicht so etwas wie die Beziehung, die Ihr oder ich zu Gott haben.«
    Und er erzählte, wie er einige Zeit aus der Bibliothek seines Vaters ausgeschlossen gewesen, später jedoch wieder eingelassen worden sei.

    »Und so wagte ich mich in diese Bibliothek, die seit dem Tod meines Vaters geschlossen gewesen war und noch immer nach ihm roch. Es mag seltsam erscheinen, dass ich vom Geruch rede, doch das war die einzige Verbindung, die ich damals herstellen konnte. Denn die Bücher waren allesamt in Latein und Griechisch geschrieben, Sprachen, die ich nicht kannte; sie handelten von Themen, mit denen ich vollkommen unvertraut war, und auf den Regalen angeordnet waren sie nach einem Prinzip, das meinem Vater klar gewesen sein muss, mir jedoch unbekannt war und selbst dann mein Begriffsvermögen überstiegen hätte, wenn jemand da gewesen wäre, der es mir hätte erklären können.
    Am Ende, Monsieur Fatio, habe ich diese Bibliothek gemeistert, doch dazu musste ich zuerst Griechisch und Latein lernen und dann die Bücher lesen. Erst als ich das alles getan hatte, war ich schließlich imstande, das Schwierigste von allem zu bewältigen, nämlich das Organisationsprinzip zu verstehen, nach dem mein Vater die Bücher in den Regalen angeordnet hatte.«
    Fatio sagte: »Euch plagen also nicht die Nöte meines hypothetischen Gelehrten im Labyrinth der innersten Geheimnisse Eurer Wissensmaschine. Aber, Doktor Leibniz, wie viele Menschen, die in eine Bibliothek voller Bücher in unbekannten Sprachen geraten, brächten wohl fertig, was Ihr

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