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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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dem Landweg gebracht – es handelt sich um eine Million getrocknete Blätter, zu einem Block gepresst.«
    Fatio schien davon nicht so fasziniert zu sein, wie Leibniz gehofft hatte. Leibniz versuchte es mit einer anderen Eröffnung: »Huygens hat mir kürzlich geschrieben und dabei erwähnt, Ihr wärt von London herübergekommen.«
    »Monsieur Newton und ich haben den Monat März der Lektüre von Mr. Huygens’ Abhandlung über das Licht gewidmet und waren davon so angetan, dass wir beschlossen, unsere Kräfte für das Jahr zu teilen – ich habe bei Huygens studiert...«
    »Und Newton müht sich mit seiner Alchimie.«
    »Alchimie, Theologie, Philosophie – nennt es, wie Ihr wollt«, sagte Fatio gelassen. »Er steht dicht vor der Vollendung eines Werkes, das die Principia in den Schatten stellen wird.«
    »Es hat wohl nicht zufällig etwas mit Gold zu tun?«, fragte Leibniz.
    Fatio – im Allgemeinen blitzschnell mit einer Antwort bei der Hand – ließ einige Momente verstreichen. »Eure Frage ist ein wenig unbestimmt.
Gold ist wichtig für Alchimisten«, räumte er ein, »wie es Kometen für Astronomen sind. Aber mancher gewöhnlich denkende Mensch glaubt, Alchimisten seien nur im gleichen Sinne an Gold interessiert wie Bankiers.«
    » C’est juste. Obwohl es nicht weit von hier einen unangenehmen Bankier gibt, der es offenbar sowohl im monetären als auch im alchimistischen Sinne zu schätzen weiß.« Leibniz, der bis zu diesem Punkt des Gesprächs der Inbegriff guter Laune gewesen war, ernüchterte bei diesen Worten, als wäre ihm etwas sehr Ernstes eingefallen, und sein Blick huschte zu dem absonderlichen roten Lederband. Das Thema wirkte sich auf seine Stimmung genauso aus wie eine Handvoll Erde, die man in ein Feuer wirft. Wieder ließ Fatio einige Momente verstreichen, ehe er antwortete; denn er musterte Leibniz eingehend.
    »Ich glaube, ich weiß, wen Ihr meint«, sagte er schließlich.
    »Es ist überaus merkwürdig«, sagte Leibniz. »Vielleicht habt Ihr zum Teil dieselben Geschichten darüber gehört wie ich. Die ganze Kontroverse dreht sich, wenn ich es recht verstehe, um die Überzeugung, es gebe ein bestimmtes Kontingent von Gold, dessen genauer Verbleib unbekannt ist, das jedoch gewisse Eigenschaften besitzt, die es für Alchimisten wertvoller machen als gewöhnliches Gold. Von einem Bankier würde ich erwarten, dass er es besser weiß!«
    »Verfallt nicht dem Irrtum zu glauben, alles Gold sei gleich, Doktor.«
    »Ich dachte, die Naturphilosophie habe zumindest so viel bewiesen.«
    » Mancher würde sagen, sie habe das Gegenteil bewiesen!«
    »Vielleicht habt Ihr in London oder Paris etwas Neues gelesen, was ich noch nicht gesehen habe?«
    »Ich dachte eigentlich an Isaacs Principia, Doktor.«
    »Das habe ich gelesen«, sagte Leibniz trocken, »und ich kann mich nicht erinnern, etwas über Gold darin gefunden zu haben.«
    »Dabei ist es doch ganz klar, dass zwei Planeten von gleicher Größe und Beschaffenheit je nach ihrer Entfernung zur Sonne verschiedene Bahnen am Himmel beschreiben werden.«
    »Natürlich – nach dem Gesetz des inversen Quadrats ist das zwangsläufig so.«
    »Wie lassen sich, da die beiden Planeten selbst in jeder Hinsicht gleich sind, ihre unterschiedlichen Flugbahnen erklären, wenn man
nicht seinen Beobachtungsbereich erweitert und ihre unterschiedliche Position zur Sonne mit einbezieht?«
    »Monsieur Fatio, ein Eckstein meiner Philosophie ist die Identität von Ununterscheidbarem. Einfach formuliert, wenn A sich nicht von B unterscheiden lässt, dann sind A und B ein und dasselbe. In der Situation, die Ihr beschrieben habt, sind die beiden Planeten nicht voneinander zu unterscheiden, was bedeutet, dass sie identisch sein müssten. Dazu gehört auch die Identität ihrer Bahnen. Da diese aber ganz offensichtlich nicht identisch sind, insofern die Planeten unterschiedliche Bahnen haben, folgt, dass sie in irgendeiner Weise voneinander unterscheidbar sein müssen. Newton unterscheidet sie, indem er ihnen verschiedene Positionen im Raum zuordnet und dann vermutet, der Raum sei irgendwie von einer mysteriösen Wesenheit durchdrungen, welche für die nach dem Gesetz des inversen Quadrats wirkende Kraft verantwortlich ist. Das heißt, er unterscheidet den einen vom anderen, indem er auf eine Art mysteriöse äußere Eigenschaft des Raums verweist...«
    »Ihr hört Euch an wie Huygens!«, fauchte Fatio, plötzlich verärgert. »Ich hätte ebenso gut in Den Haag bleiben

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