Confusion
Wahrnehmungen mitzuteilen.« Der Doktor deutete auf eine kleine Schneekugel, die ein paar Schritte vor Fatio lag.
»Ich sehe das Feld, das Schloss, das Arsenal und die künftige Bibliothek. Ich sehe Euch, Doktor, der Ihr neben einer großen Schneekugel steht, und dort drüben, zur Rechten, nicht sehr weit weg, eine kleinere.«
»Nun tut bitte das Gleiche von der anderen Schneekugel aus, die Ihr gemacht habt.«
Ein paar Augenblicke später konnte Fatio berichten: »Das Gleiche.«
»Genau das Gleiche?«
»Je nun, natürlich gibt es geringe Unterschiede. Jetzt befinden sich Ihr, Doktor, und die große Schneekugel zu meiner Rechten und näher als vorher, und die kleine Schneekugel befindet sich zu meiner Linken.«
Leibniz verließ nun seinen Posten und begann auf Fatio zuzustapfen. »Newton würde behaupten, dieses Feld besitze eine eigene Wirklichkeit, welche die Kugeln bestimmt und sie unterscheidbar macht. Ich aber sage, das Feld ist nicht nötig! Vergesst es, und haltet Euch nur an die Wahrnehmungen der Kugeln, die Perzeptionen.«
» Perzeptionen?«
»Ihr habt selbst gesagt, Ihr hättet, als Ihr dort gestanden habt, eine große Schneekugel zur Linken, weit weg, und eine kleine zur Rechten wahrgenommen. Hier nehmt Ihr eine große zur Rechten und nahe, und eine kleine zur Linken wahr. Obwohl also die Kugeln in Hinsicht
auf ihre äußeren Eigenschaften wie Größe, Form und Gewicht ununterscheidbar und daher identisch sein mögen, erkennen wir, wenn wir ihre inneren Eigenschaften – wie etwa ihre Perzeptionen voneinander – betrachten, dass sie verschieden sind. Also sind sie doch unterscheidbar! Und mehr noch, sie lassen sich unterscheiden, ohne dass man auf eine Art fixen, absoluten Raum zurückgreift.«
Unterdessen hatten sie, ohne Diskussion, begonnen, zum Schloss zurückzutrotten, das mit zunehmender Dämmerung täuschend warm und einladend anmutete.
»Ihr scheint jedem Objekt im Universum zuzubilligen, dass es perzipieren und seine Perzeptionen festhalten kann«, sagte Fatio.
»Wenn Ihr Euch daranmacht, Objekte in immer kleinere Teile zu unterteilen, müsst Ihr irgendwann aufhören und etwas riskieren, indem Ihr sagt: › Das ist die grundlegende Einheit der Wirklichkeit, und dies sind ihre Eigenschaften, auf denen alle anderen Erscheinungen aufbauen‹«, sagte der Doktor. » Mancher hält es für plausibel, dass sie Billardkugeln gleichen, die durch Kollision interagieren.«
»Ich wollte gerade fragen«, meinte Fatio, »was einfacher sein könnte. Ein hartes kleines Stück unteilbarer Materie. Das ist die vernünftigste Hypothese darüber, was ein Atom ist.«
»Da bin ich anderer Meinung! Die Materie ist ein kompliziertes Ding. Kollisionen zwischen Materiestücken sind noch komplizierter. Bedenkt doch: Wenn diese Atome unendlich klein sind, warum gilt dann nicht, dass die Wahrscheinlichkeit der Kollision eines Atoms mit einem anderen gegen null geht?«
»Da habt Ihr nicht ganz unrecht«, sagte Fatio, »doch ich glaube kaum, dass es einfacher ist, diese Atome stattdessen mit der Fähigkeit der Perzeption und des Denkens auszustatten.«
»Perzeption und Denken sind Eigenschaften von Seelen. Zu postulieren, dass der Grundbaustein des Universums Seelen sind, ist nicht abwegiger, als zu behaupten, es seien kleine Stücke harten Stoffes, die sich in einem leeren Raum umherbewegen, welcher von geheimnisvollen Feldern durchdrungen sei.«
»Also führt die Perzeption eines Planeten von der Sonne und von allen anderen Planeten dazu, dass er sich mit einem geradezu unheimlichen Grad an Präzision genau so verhält, als befände er sich einem solchen ›geheimnisvollen Feld‹.«
»Ich weiß, es hört sich schwierig an, Monsieur Fatio, aber auf lange Sicht wird es besser funktionieren.«
»Dann wird die Physik zu einer gewaltigen Übung in Buchführung. Jedes Objekt im Universum unterscheidet sich von jedem anderen Objekt durch die Einmaligkeit seiner Perzeptionen aller anderen Objekte.«
»Wenn Ihr lange genug darüber nachdenkt, werdet Ihr sehen, dass es die einzige Möglichkeit ist, sie zu unterscheiden.«
»Aber das ist ja gerade so, als wäre jedes Atom oder Teilchen...«
»Ich nenne sie Monaden.«
»Nun gut, dann also jede Monade eine eigenständige Wissensmaschine, ein Bücherrad-Rad-Rad-Rad...«
Leibniz brachte ein schwaches Lächeln zustande.
»Ihre Getriebe knirschen vor sich hin wie diejenigen in Eurer Rechenmaschine, und sie entscheidet selbständig, was sie tut. Ihr habt Spinoza
Weitere Kostenlose Bücher