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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Hand, den sie in »Amsterdam« postiert hatte. Drei jüngere Gäste, acht bis zwölf Jahre alt, hatten sich bereits auf die Anrichte gestürzt, die Obstschale umgestülpt und den Kies aufzuteilen begonnen. »Sehr schön, ihr seid die englische Münze, und das ist der Tower von London«, informierte Eliza sie. Dann, weil sie ein wenig zu enthusiastisch vorgingen, mahnte sie sie: »Denkt daran, ich möchte nur ungefähr dreißig.«
    »Wir dachten hundert!«, sagte das älteste der Kinder.
    »Ja; aber in London gibt es nicht genügend Kies, um so viele zu machen.«
    Inzwischen war der Papierkram in »Lyon« erledigt. Diesmal hatte man einen zusätzlichen Kniff eingebaut: »Lothar« stellte den Wechsel nicht auf »Dubois«, sondern auf »Castan« aus, der ihm am Tisch gegenübersaß. »Castan« musste ihn sodann umdrehen und auf die Rückseite schreiben, dass er den Wechsel an Monsieur Dubois transferierte. Er war in fünfzehn Minuten fällig. »Castan« reichte ihn um 4 Uhr 12 »Dubois« am Stadtrand von »Lyon«, und »Dubois« kam, nach einem Umweg für ein Schlückchen Cognac, um 4 Uhr 14 in »London« an und übergab ihn »Punchinello«, die ihn wie zuvor mit dem aviso verglich und die Zeit überprüfte. Sie wollte gerade »akzeptiert« quer darüber schreiben, als der stets gewissenhafte »Merkur« ihr in den Arm fiel.
    »Halt! Denkt nach. Eure Solvenz, Euer Kredit steht auf dem Spiel. Wie viele Kieshäufchen habt Ihr?«
    »Punchinellos« Blick irrte zum »Tower von London« hinüber, wo zweiunddreißig Kieshäufchen zu einem Viereck von acht mal vier angeordnet waren.
    »Die gehören Euch nicht«, sagte Merkur. Sie schaufelte sie in die Obstschale und reichte diese dem Lavardac-Cousin, der so tat, als wäre er Lothars Vertreter in London.
    Madame de Bearsul begann zu begreifen. »Ich werde diesen Kies brauchen – ich habe hier ein Schreiben Eures Onkels, in dem steht, dass Ihr mir hundert Häufchen schuldet.«
    »Hundert habe ich nicht!«, beklagte sich der junge Bankier.
    »Wie üblich kommt Merkur zu Hilfe!«, verkündete Eliza. »Hat sonst jemand in London Kies?«
    »Ich habe einen großen Eimer davon«, sagte eine Erwachsenenstimme aus dem Zimmer nebenan.
    »Ihr seid nicht in London!«, antwortete »Merkur«. Und sie wandte
sich dem »Londoner« Neffen zu und bedachte ihn mit einem erwartungsvollen Blick.
    »Vetter! Kommt herein und bringt mir etwas von dem Familienkies!«, rief er.
    Der junge Mann mit dem Kieseimer kam in den Raum gewankt. Worauf Eliza zwei sechsjährigen Jungen zunickte, die mit Holzschwertern in einer Ecke gekauert hatten. Sie stürzten hervor und begannen den Kiesträger auf Schienbeine und Knöchel zu schlagen. »Au!«, rief er.
    »Piratenüberfall in der Nordsee!«, verkündete Eliza.
    Der Kiesträger wurde dadurch behindert, dass er die kleinen Bukanier schlecht sehen konnte, weil der Eimer seine Sicht behinderte. Dennoch kam er, nachdem er mehrmals durch ganz Britannien gejagt worden war, ein paar Minuten später (um 4 Uhr 20) mit schwerer Steuerbordschlagseite im Hafen an und stülpte im Tower von London den Kieseimer um. »Beeilt Euch!«, sagte Eliza. »Es bleiben nur noch fünf Minuten, bis der Wechsel verfällt!«
    Und es wurde knapp; doch dank fieberhafter Arbeit und mit einiger Hilfe von Eliza waren die Präger imstande, den Saldo von Lothars Londoner Vertreter bis 4 Uhr 23 auf über hundert Kieshäufchen zu steigern, die triumphierend vor »Signore Punchinello« geschüttet wurden, welche ihn leicht angewidert über den Tisch in die Arme von »Pierre Dubois« schob. Es war genau 4 Uhr 27. Alle Anwesenden – Darsteller, Publikum und Bediente gleichermaßen – brachen in Beifall aus, da sie glaubten, das Stück sei vorbei. Die einzigen Ausnahmen waren Monsieur le Chevalier d’Erquy, der mit dem Kies in der Hand zurückgeblieben war, und die beiden sechsjährigen Piraten, die – weil es ihnen in dem Stück bislang zu wenig Schwertkämpfe, Draufgängertum und Verwegenheit gegeben hatte – versuchten, dem Chevalier durch stumpfe Gewalteinwirkung die Knie- und Achillessehnen zu durchtrennen.
    »Allen Ernstes, Merkur«, beschwerte sich d’Erquy, »wie sollen Münzen von London an die Front gebracht werden? Denn wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was man sich von England erzählt, dann ist das Land voller Renegaten, Landstreicher, Straßenräuber und Schurken jeder Couleur.«
    »Unbesorgt«, sagte Eliza, »wenn Ihr nur ein paar Tage wartet, wird die Front zu Euch kommen,

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