Confusion
Dafürhalten gemeinsam haben, Monsieur, ist eine Vorliebe für das Finanzwesen.«
Bernard ließ erkennen, dass er mit diesem Versuch nicht ganz zufrieden war. Er hatte eine lange, komplizierte französische Nase, eng beieinander sitzende Augen und einen Mund, der sich wie ein Recurve-Bogen an den Winkeln straff nach oben zog. Sein Gesichtsausdruck mochte von Frustration oder intensiver Konzentration, vielleicht auch von beidem, zeugen. Er versuchte, ihr etwas begreiflich zu machen. »Warum trage ich goldenes Tuch? Weil ich so etwas wie ein Stutzer bin? Nein! Ich kleide mich gut, aber ich bin kein Stutzer. Ich trage das, um mich an etwas zu erinnern.«
»Ich hatte vermutet, es solle andere daran erinnern, dass...«
»Dass ich der reichste Mann Frankreichs bin? Wolltet Ihr das sagen?«
»Nein, aber gedacht habe ich es.«
»Ein weiteres Gerücht – wie das, ich sei Jude. Nein, Madame, ich trage das, weil es früher einmal mein Gewerbe war.«
»Habt Ihr Gewerbe gesagt?«
»Meine Familie waren Hugenotten. Ich wurde in der protestantischen Kirche von Charenton getauft. Man kann sie nicht mehr sehen, sie wurde vor ein paar Jahren von einem katholischen Pöbel niedergerissen. Mein Großvater war Porträtmaler bei Hofe. Mein Vater Miniaturenmaler und Kupferstecher. Doch mir schenkte Gott keine künstlerische Begabung, deshalb wurde ich zu einem Goldtuch-Händler in die Lehre gegeben.«
»Habt Ihr die ganze Lehrzeit abgeleistet, Monsieur?«
» Pourquoi non, Madame, denn damals wie heute erfülle ich stets meine Verträge. Mein offizielles métier ist maître mercier grossiste pour draps d’or, d’argent, et de soie de Paris.«
»Ich glaube, ich beginne endlich zu begreifen, worauf Ihr hinauswollt, Monsieur Bernard. Ihr wollt sagen, dass wir beide gemeinsam haben, dass wir nicht dazugehören.«
»Man wird aus uns nicht schlau!«, rief Bernard aus, warf in Nachäffung eines bestimmten Typs von Höfling beide Hände hoch und hob die Augenbrauen. »Für diese Leute« – und seine Hände machten eine schaufelnde Bewegung über die Rue de l’Orangerie in Richtung Versailles – »sind wir das, was Meteore, Kometen, Sonnenflecken für Astronomen sind: monströse Abweichungen, unheimliche Anzeichen eines unerwünschten Wandels, der Beweis, das mit einem System, das angeblich von der Hand Gottes geschaffen wurde, etwas nicht stimmt.«
»Etwas in dieser Art habe ich auch schon von Monsieur le Marquis d’Ozoir gehört...«
Bernard ließ nicht zu, dass ein so törichter Satz beendet wurde; er stieß heftig den Atem aus und verdrehte die Augen. » Er! Was sollte ausgerechnet er von uns wissen? Er ist der Inbegriff dessen, was ich meine – Sohn eines Herzogs! Zwar ein Bastard und auf seine Weise durchaus geschäftstüchtig, aber dennoch ganz und gar typisch für die bestehende Ordnung.«
Eliza hielt es nun für das Beste, nichts mehr zu sagen, denn Bernard hatte sie auf ziemlich gefährliches Terrain geführt – als wollte er sie, eine Herzogin, für so etwas wie einen Aufstand gewinnen. Bernard bemerkte ihr Unbehagen und zog sich physisch zurück. Der armenische Junge kam in Pantoffeln herbeigeglitten, in der einen Hand ein protziges Tablett mit einem winzigen, von einem Zarf aus gewundenem Silber umfassten Becher Kaffee. Eliza schaute einige Momente lang zum Fenster hinaus und ließ Bernard die ersten Schlucke genießen. Seine Leibwächter hatten längst einen Verteidigungsring um das Café Esphahnian gebildet. Doch wenn sie über diesen hinaus diagonal über die Rue de l’Orangerie blickte, konnte sie tief in ein großes, rechteckiges Grundstück hineinschauen, das auf drei Seiten von einer Galerie mit gewölbtem Dach und Stützmauer umschlossen war, welche den Südflügel des königlichen Palastes stützte. Dieser Park war nach Süden offen, sodass er im Winter die spärlichen Gaben der Sonne aufnehmen konnte. Die Orangenbäume des Königs, die in tragbaren Kästen mit Erde gediehen, kauerten noch hinten in der warmen Galerie, denn die letzten Nächte waren klar und kalt gewesen. Doch der Park war dicht mit Palmen besetzt; und es war der Anblick ihrer wehenden
Wedel und nicht das pseudotürkische Dekor des Cafés, der es ihr ermöglichte, sich vorzustellen, sie säße an einem ummauerten Park des Topkapi-Palastes.
Bernard hatte sich wieder ein wenig beruhigt. »Unbesorgt, Madame, mein Vater und ich sind nach der Widerrufung des Edikts von Nantes beide zum Katholizismus konvertiert. So wie Ihr einen erblichen
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