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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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sind.«
    Jack war inzwischen aus der Grube hochgezogen und wieder über den Fußboden geschwenkt worden. Die Insektenärzte sammelten sich um ihn und fegten mit ihren Besen behutsam die prallen Zecken und Blutegel weg. Dann ließen sie ihn herunter und fingen an, seine Handund Fußgelenke loszubinden. Sobald er konnte, griff Jack nach oben und zog sich die Gazemaske vom Gesicht. Jetzt konnte er sich Surendranath zum ersten Mal richtig anschauen.
    Als sie sich vor über einem Jahr vor dem Zollhaus von Surat getrennt hatten, war Surendranath ebenso wie Jack ein zitternder, in Lumpen gekleideter armer Wicht gewesen, der immer noch leicht
krummbeinig ging; das war eine Folge der gründlichen Durchsuchung, die jedem zuteil wurde, der hier das Reich des Moguls betrat, und die verhindern sollte, dass irgendjemand in seinem Rektum Perlen aus dem Persischen Golf schmuggelte.
    Jack sah heute natürlich noch ziemlich ähnlich aus, nur dass er mit Insektenstichen übersät war und auf dem Bauch lag. Direkt vor seiner Nase stand jedoch ein Paar feine Lederpantoffeln, die mit rotem Samtbrokat überzogen waren, und darüber eine orange-gelb gestreifte Hose, über die ein langes Hemd aus bestem Leinen herabhing. Das Ganze wurde von Surendranaths Kopf gekrönt. Er hatte sich einen Schnurrbart wachsen lassen, ansonsten aber eine fachmännische Rasur – die ihn so früh am Morgen einiges gekostet haben musste; außerdem trug er einen ansehnlichen Goldring in der Nase und einen schneeweißen Turban mit einem Übertuch aus weinroter, golden umrandeter Seide.
    »Ich kann nichts dafür, dass ich in diesem verdammten Land ohne Geld festsitze«, sagte Jack. »Das habe ich diesen Piraten zu verdanken.«
    Surendranath schnaubte. »Jack, wenn ich eine einzige Rupie verliere, liege ich die ganze Nacht wach und verfluche mich und den Mann, der sie mir weggenommen hat. Du brauchst mich nicht lange zu bitten, die Piraten zu hassen, die jetzt unser Gold haben!«
    »Also gut.«
    »Bedeutet das aber, dass andere Hindustani, die zu einer anderen Kaste gehören, eine andere Sprache sprechen und am anderen Ende des Subkontinents leben, leiden müssen?«
    »Ich muss essen.«
    »Für einen Europäer gibt es andere Möglichkeiten, in Hindustan seinen Lebensunterhalt zu verdienen.«
    »Ich sehe jeden Tag diese reichen Holländer auf den Straßen. Schön für sie. Aber ich kann nicht vom Handel leben, wenn ich völlig pleite bin. Im Übrigen nehmen sich im Basar neben euch Banyans ja sogar Juden und Armenier wie Nonnen aus.«
    »Danke«, sagte Surendranath bescheiden.
    »Im Übrigen steht in Surat und allen anderen Vertragshäfen eine astronomische Summe auf meinen Kopf.«
    »Es stimmt, dass als Folge deines Verhaltens gegenüber dem Vizekönig, dem Haus von Hacklheber und dem Duc d’Arcachon jetzt ganz Spanien, Deutschland und Frankreich dich töten wollen«, räumte Surendranath ein, während er Jack aufhalf.

    »Du hast das Osmanische Reich vergessen.«
    »Aber Hindustan ist eine andere Welt! Du hast nur einen schmalen Küstenstreifen davon gesehen. Im Inneren gibt es viele Möglichkeiten...«
    »Ach, die Wanzengruben sind doch überall gleich.«
    »...für einen Europäer, der mit Säbel und Muskete umzugehen weiß.«
    »Ich höre«, sagte Jack. »Verdammtes Ungeziefer!«, und damit schlug er, abgelenkt wie er durch Surendranaths merkwürdigen Vortrag war, nach einer Mücke, die seitlich an seinem Hals gelandet war. Das bemerkten nur Surendranath – der ein Geräusch von sich gab, als erbräche er seine Galle – und der Junge, der direkt neben Jack stand und ihm seine ordentlich gefalteten Kleider hinhielt. Jack schaute ihm für einen Moment in die Augen; dann senkten beide ihren Blick auf Jacks Handfläche, wo die Mücke zerdrückt in einem Tropfen Blut von Jack oder irgendjemand anderem lag.
    »Der Knabe denkt jetzt, ich hätte seine Großmutter umgebracht«, sagte Jack. »Könntest du ihn vielleicht bitten, den Mund zu halten?«
    Doch der Junge sprach bereits mit verwirrter, piepsender Stimme – und dennoch deutlich hörbar. Der oberste Ungezieferdoktor eilte brüllend herbei. Dann strömten sie alle zusammen und kamen Jack plötzlich ganz genauso entschlossen und blutrünstig vor wie ihre Patienten. Er schnappte sich seine Kleider.
    Surendranath versuchte erst gar nicht, über die Angelegenheit zu diskutieren, sondern packte Jack am Arm und führte ihn aus dem Raum, erst nur energischen Schrittes und dann im Lauftempo. Die Nachricht von Jacks

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