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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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falsch sind, und beides ist nicht möglich, ohne ihre Verfechter zu verletzen. Ich war nicht aus Dummheit ein mittelmäßiger Naturphilosoph, sondern weil ich in gewisser Weise feige war. Heute werde ich es ausnahmsweise einmal mit Kühnheit versuchen und darum ein besserer Naturphilosoph sein; und bis ich fertig bin, werdet Ihr mich wahrscheinlich alle hassen. Dann heißt es mit dem nächsten Schiff ab nach Boston. Deshalb, Fatio, verteidigt nicht mit irgendeinem langweiligen Ausbruch Eure Theorie, und greift auch nicht die von Leibniz an, sondern haltet gefälligst den Mund und hasst mich stattdessen. Isaac, das meine ich, wenn ich sage, dass ich heute versuche, dir gewachsen zu sein. Wenn du mich bei meinem Fortgang hasst, soll das der Maßstab meines Erfolges sein.«
    »Das ist eine harte Methode«, sann Isaac, der mittlerweile noch stärker zitterte. »Aber ich kann nicht leugnen, dass in meiner Karriere wissenschaftliche Dispute stets mit der heftigsten persönlichen Feindschaft
verknüpft waren. Und im Augenblick ist mir nicht danach, sanft und versöhnlich zu sein. Also heraus damit. Vielleicht verstehe ich dich als Feind besser denn als Freund.«
    »Als ich dich hier in diesem Regen toter Blütenblätter sah, hat mich das an den Frühling 1666 erinnert, als ich nach Woolthorpe kam und dich in einem Gestöber von Apfelblüten sitzen sah. Entsinnst du dich dieses Tages?«
    »Natürlich.«
    »Ich war von Epsom heraufgeritten, wo Hooke, Wilkins und ich ein ganz ähnliches Kolloquium wie dieses hier gehalten hatten. Sein Generalthema hätte ›Das Leben: was es ist und was es nicht ist‹ lauten können. Nun komme ich hierher und stelle fest, dass Ihr studiert, was ich als ›Gott: was das Göttliche ist und was es nicht ist‹ zusammenfassen möchte. Habe ich das gut gesagt?«
    »So formuliert, ist es sehr leicht misszuverstehen«, wandte Locke ein.
    »Ruhig, John«, befahl Newton. »Daniel missversteht nichts.«
    »Danke, Isaac«, sagte Daniel. »Wenn das, was du sagst, zutrifft, dann nur insofern, als ich mich viele Jahre lang bemüht habe, deinen gewundenen Pfaden durch diese Fragen zu folgen. Eine leichte Aufgabe war das nicht. Deine philosophische Arbeit war schon immer mit Bibelzeug durchsetzt, und ich konnte nie verstehen, warum in unseren Kammern Sternenkataloge so wahllos mit hebräischen Schriften zusammengeworfen und Zeichnungen neuer Teleskope in okkulte Abhandlungen über das philosophische Quecksilber eingeschoben waren et cetera . Doch endlich kam ich zu der Erkenntnis, dass ich es zu kompliziert machte. Für dich ist das überhaupt keine Vermischung; für dich sind die Offenbarung des Johannes, die Schwärmereien des Hermes Trismegistos und die Principia Mathematica allesamt Signaturen, die aus demselben gewaltigen Buch herausgerissen sind.«
    »Wie kommt es, Daniel, dass du alle diese Dinge mit solcher Klarheit begreifst und dich uns dennoch nicht anschließen willst? Das erscheint mir so, als hätte ein Freund von Galileo durch dessen Fernrohr geschaut, die Monde des Jupiter auf ihrer Bahn gesehen, sich dennoch geweigert, seinen Augen zu trauen, und sich stattdessen die überholte Ansicht der Papisten zu eigen gemacht.«
    »Isaac, seit sechzehn Jahren tue ich nichts anderes, als mich das zu fragen.«
    »Du spielst auf das an, was 1677 geschehen ist.«

    »Was ist eigentlich 1677 geschehen?«, erkundigte sich Fatio. »Jeder will es wissen.«
    »Leibniz unternahm seine zweite Englandreise. Er fuhr inkognito nach Cambridge, und zwar zu keinem anderen Zweck als dem, ein Gespräch mit Isaac zu führen. Zu dem es auch kam. Doch während sie in einem Stechkahn den Cam hinunterfuhren, stieß ich in unserer Wohnung auf Papiere, die bewiesen, dass Isaac dem Arianismus verfallen war, was ich als unsägliche Häresie betrachtete. Ich verbrannte diese Papiere und mit ihnen viele von Isaacs alchimistischen Aufzeichnungen und Büchern – für mich war das alles eins. Zu diesem Verbrechen bekenne ich mich nun offen, bereue es und bitte um Vergebung.«
    »Du sprichst, als rechnetest du nicht damit, mich noch einmal zu sehen!«, rief Newton mit Tränen in den Augen. »Ich habe deine Scham bemerkt, in dein Herz gesehen und dir schon vor langer Zeit vergeben, Daniel.«
    »Ich weiß.«
    »Das meiste von dem, was du verbrannst hast, war ohnehin Unsinn. Hier siehst du nichts davon. Doch hier bin ich dem Großen Magisterium unendlich viel näher.«
    »Ich weiß, du hast die Alchimie bis auf die Grundmauern

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