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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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niedergerissen und wiederaufgebaut, und darüber berichtest du in einem Buch namens Praxis, das für die Alchimie das sein wird, was die Principia Mathematica für die Physik waren. Und vielleicht hofft man ja, dass das Ganze in Verbindung mit einer neuen Schriftdeutung vonseiten Fatios, einer neuen Philosophie vonseiten Lockes und einer Neufassung des christlichen Glaubens gemäß arianischen Prinzipien vonseiten deiner in ganz England verstreuten Jünger zu einem großen, einheitlichen Diskurs, einer Art wissenschaftlicher Apokalypse verschmelzen wird, in der das ganze Universum und alle Geschichte so klar sein wird wie destilliertes Wasser.«
    »Du machst dich über uns lustig, indem du es vereinfachst.«
    »Es ist also nicht einfach? Es wird nicht auf einmal, im Nu, eintreten?«
    »Es steht uns nicht zu, im Voraus zu sagen, auf welche Weise es möglicherweise eintritt.«
    »Doch du warst fünf Nächte wach und hast an einem Werk gearbeitet, das du keinem Gehilfen anvertrauen willst. Du leidest offensichtlich an den schädlichen Auswirkungen einer Quecksilbervergiftung.
Du gibst nicht zu, dass es sich um das Große Werk handelt, aber was könnte es sonst sein? Ich kann weder deine Gedanken lesen, Isaac, noch dich bitten, Geheimnisse preiszugeben, aber ich kann ganz deutlich sehen, dass es fehlgeschlagen ist. Und falls es sich mit Fatios Theorie der Schwerkraft verbinden sollte, ist diese ebenfalls fehlgeschlagen.«
    »Bevor Ihr Euch über unser Werk lustig macht, Sir, sagt uns doch bitte, inwiefern das von Leibniz Erfolg hatte«, verlangte Fatio.
    »Es unterscheidet sich von Eurem darin, dass es keinen Erfolg zu haben braucht – es darf nur nicht fehlschlagen. Und das halte ich für eine vernünftigere Art, Wissenschaft zu betreiben, als Eure Methode, bei der es um alles oder nichts geht. Denn während ich älter werde und neue Leute zur Royal Society stoßen sehe, stelle ich fest, dass die Naturphilosophie vielleicht mit unserer Generation begonnen haben mag, aber keineswegs mit uns enden muss. Und mit dieser Denkweise stehe ich nicht allein.« Daniel hob einen Bogen Papier, den er aus Lockes Arbeitszimmer mitgenommen hatte, und las vor: »Es ist dem Seemann von großem Nutzen, die Länge seiner Leine zu kennen, auch wenn er damit nicht alle Tiefen des Ozeans ausloten kann. Es ist gut zu wissen, dass sie lang genug ist, um an den Stellen den Grund zu erreichen, die notwendig sind, um ihn auf seiner Fahrt zu leiten, und ihn so davor bewahren, auf Untiefen aufzulaufen, die sein Verderben sein können.«
    »Welcher triefnasige Narr hat diesen Unsinn geschrieben?«, wollte Fatio wissen.
    »Mr. John Locke. Und die Tinte ist noch feucht«, erwiderte Daniel.
    »Ich bin ganz sicher, dass das nicht auf Isaac Newton gemünzt war!«, gab Fatio zurück, der leicht erschüttert war, sich aber rasch wieder fing.
    »Ich glaube, was Ihr in Wirklichkeit meint, ist ›auf Newton und Fatio‹«, sagte Daniel.
    Newton und Fatio sahen einander an, und Daniel sah die beiden an. Fatios Gesicht trug so etwas wie einen zärtlichen, einnehmenden Ausdruck; Daniel gewann den Eindruck, dass es schon sehr lange her war, dass er Newton zum ersten Mal ein solches Gesicht gezeigt hatte, und dass er es gewöhnt war, seinen Blick ebenso zärtlich und liebevoll erwidert zu sehen. Doch heute nicht. Newton starrte Fatio nicht voller Liebe, sondern voll intensiver Neugier an, als nähme er plötzlich etwas wahr, was ihm bisher entgangen war. Daniel empfand keine
Liebe für Fatio, doch der Blickwechsel bereitete ihm solches Unbehagen, dass er den Mut verlor, den er bis jetzt aufrechterhalten hatte.
    »Ich möchte Euch eine Geschichte über Robert Hooke erzählen«, verkündete er.
    Es war dies eines der wenigen Dinge, die Isaacs Aufmerksamkeit von seiner eingehenden, gründlichen Musterung Nicolas Fatio de Duilliers ablenken konnte. Er wandte seinen Blick Daniel zu, der fortfuhr: »Bevor ich nach Woolthorpe kam, Isaac, habe ich ein Experiment mit ihm durchgeführt. Wir bauten über einem Brunnen eine Waage auf und wogen denselben Gegenstand auf Bodenhöhe und in dreihundert Fuß Tiefe, um festzustellen, ob es einen Unterschied gab. Hooke hatte nämlich eine Ahnung vom Gesetz des inversen Quadrats.«
    Isaac nahm im Kopf eine rasche Berechnung vor und sagte: »Es gab keinen beobachtbaren Unterschied.«
    »Genau. Hooke war niedergeschlagen, doch auf der Nachhausefahrt überlegte er sich eine Verfeinerung des Experiments, die niemals durchgeführt wurde.

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