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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Das Wetter riss braun gewordene und verwelkte Blütenblätter von zerzausten Rosenblüten, die wie angestoßene Äpfel ringsumher an Lauben und Spalieren hingen, und sie schossen zu Boden, wo sie in Wirbeln umhersausten.
    Isaac hatte ihn durchaus bemerkt. Er saß mit hochgelegten Füßen auf einer Gartenliege und war in Decken eingehüllt, was aber nicht verhinderte, dass er unentwegt zitterte, obwohl es gerade erst kühl zu werden begann. Er sah aus, als wäre er dem Tod nahe: noch abgezehrter als sonst, in sich zusammengesunken und derart ohne Farbe, dass man hätte glauben können, das Blut sei ihm abgezapft und durch Quecksilber ersetzt worden.

    »Daniel, es ist gut, dass unser gemeinsamer Freund Mr. John Locke dein Kommen angekündigt hat, sonst würde ich es falsch auffassen.«
    »Wie das, Isaac?«
    »Ich gerate in letzter Zeit in sonderbare Gemütszustände. Die Welt erscheint mir durchaus freundlich, während ich hier unter Freunden in einem hellen Garten sitze. Doch wenn die Nacht hereinbricht, was jetzt immer zeitiger der Fall ist, legt sich Dunkelheit über mein Gemüt, und ich bilde mir ein, ich sehe lange, bedrohliche Schatten, geworfen von allem und jedem, was ich tagsüber gesehen, und diese Schatten haben sich zu Komplotten und Verschwörungen zusammengeschlossen.«
    »Jeder, außer den Wahnsinnigen in Bedlam, hat ein Komplott. Jeder gehört einer oder zwei Verschwörungen an. Was ist die Royal Society anderes als eine Verschwörung? Ich will gar nicht behaupten, dass ich unschuldig bin. Aber die Verschwörung, die ich vertrete, will nur Gutes für dich.«
    »Das möchte ich gefälligst selbst beurteilen! Woher willst du wissen, was gut für mich ist?«
    »Wenn du dich selbst so sehen könntest, wie ich dich sehe, Isaac, würdest du sofort zugeben, dass ich viel mehr darüber weiß als du. Wie lange ist es her, dass du geschlafen hast?«
    »Fünf Nächte habe ich am Kamin wachgesessen und an einem Werk gearbeitet.«
    »Dem Großen Werk?«
    »Du kennst mich schon fast so lange, wie ich mich selbst kenne, Daniel, wieso verschwendest du also Atem auf diese Frage? Du weißt doch, dass ich dir nicht geradeheraus antworte. Und du kennst die Antwort bereits. Deine Frage ist also in doppelter Hinsicht müßig.«
    »Fünf Nächte... Dann trifft es sich gut, dass ich heute gekommen bin, denn wenn du eine Woche nicht geschlafen hast, Isaac, bin ich dir vielleicht gewachsen.«
    »In welcher Hinsicht möchtest du mir denn gewachsen sein, Daniel?«
    Hinter ihm setzte Masham zum Sprechen an und wurde rasch zum Schweigen gebracht. Daniel drehte sich halb um und stellte fest, dass Fatio ihm bis in Lockes Arbeitszimmer gefolgt war; da Daniel ihn nun entdeckt hatte, trat er in den Garten hinaus, wobei er sich wie ein verschreckter Hund in einer merkwürdig diagonalen Gangart bewegte und Daniel mit einer leichten Verbeugung bedachte. Ihm in die Augen sehen wollte er jedoch nicht.

    »In welcher Hinsicht? Nicht so, wie Fatio es gern wäre – das wurde am Pfingstsonntag des Jahres 1662 zwischen uns geklärt, sofern ich die Zeichen nicht falsch deute.« Ein langsames, zustimmendes Blinzeln von Newtons blutunterlaufenen Augen verriet ihm, dass er recht hatte. »Und ganz bestimmt nicht so wie Leibniz.«
    Fatio schnaubte verächtlich. »Wir haben Mr. Leibniz’ Brief gelesen – der nichts als ein grobschlächtiger Angriff auf meine Theorie der Schwerkraft ist!«
    »Wenn Leibniz Eure Theorie der Schwerkraft niedermacht, Monsieur Fatio, dann heißt das nur, dass er den Mut und die Offenheit besitzt, mit Tinte niederzuschreiben, was Huygens, Halley, Hooke und Wren untereinander gesagt haben, seit Ihr diese Theorie der Royal Society vorgestellt habt. Und ich gedenke es Leibniz jetzt nachzutun. Halt, Fatio, bitte keine gespielte Empörung, das kann ich nicht ertragen. Ich sehe in diesem Garten drei Gesichter: Fatio, der gerade angegriffen wurde und bereit ist, sehr hitzig zu reagieren; Newton, der sich seltsam ambivalent verhält, als stimmte er mir insgeheim zu; Locke, der vielleicht wünscht, ich wäre nie gekommen, um Euer Kolloquium zu stören. Aber ich habe es nun einmal gestört, und nun werde ich es noch mehr stören. Denn wenn ich über meine Laufbahn nachdenke, glaube ich, dass ich mehr hätte erreichen können, wenn ich mir nicht so viel daraus gemacht hätte, was andere Leute von mir halten. Die Naturphilosophie kann nicht vorankommen, wenn sie nicht Theorien attackiert, die alt sind, und neue zurückschlägt, die

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