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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Komet?«
    »Natürlich!«
    »Wir haben ›Komet‹ für diese Fledermaus benutzt.«
    Georges Mundwinkel zogen sich derart weit zurück und herab, dass seine Lippen zu existieren aufhörten und der Schlitz zwischen ihnen das Aussehen einer Garotte annahm. Er bedachte Leibniz, dem er offenbar irgendetwas vorwarf, mit einem finsteren Blick.
    »Wer ist der Falke, Eure Hoheit?«, fragte ihn Leibniz.
    »Eure Euch ergebene Schülerin – und meine kleine Schwester - Sophie Charlotte, die Kurfürstin von Brandenburg, Dr. Leibniz.«
    »Ausgezeichnet! Die Netz-Metapher sollte also bedeuten, dass sie Peter mit ihrem Charme und ihren Schlichen gefangengenommen hat.«
    »Er ist wie eine Kanonenkugel durch Berlin geschossen – bremste
nicht einmal ab – sie musste ihn wie ein Fuchs in Koppenbrügge stellen...«
    »Willst du damit sagen, Sophie Charlotte glich einem Fuchs, insofern sie so raffiniert war, die Kanonenkugel zu stellen? Oder dass der Zar etwas Füchsisches hatte, indem er sich derart entzog?«, fragte Sophie geduldig.
    »Ich will damit sagen, dass sie gleich kommen.«
    »Geh in die Schlafkammer deines Vaters. Schicke die Balsamierer weg«, befahl Sophie, die von den Ärzten sprach. »Mache deinem Vater begreiflich, dass vielleicht irgendein sehr großer und schrecklich wichtiger Mann in sein Gesichtsfeld gerät und er versuchen soll, ein, zwei Freundlichkeiten zu murmeln, wenn er sich dazu imstande fühlt.«
    »Ja, Mutter«, sagte der gehorsame Sohn. Mit einer Verbeugung für seine Mutter und einem flüchtigen Schmalerwerden der Augen für Leibniz verabschiedete sich George Louis.
    Nun war es, als müssten Sophie und der Doktor etwas im Hinblick auf George Louis sagen, aber Sophie unterließ es sehr dezidiert, und Leibniz beschloss erleichtert, ihrem Beispiel zu folgen. Es kam zu einem kurzen Ausbruch von Chaos und Ausgelassenheit, während man Sophie auf Bodenhöhe beförderte (sie drohte vom Tisch zu springen und hätte es wahrscheinlich auch gekonnt), aber sie hatten Nachricht erhalten, dass der Zar aller Reußen das Gebäude betreten hatte, und ihm voran Sophie Charlotte, die ihn praktisch am Ohr hereinzerrte. Wäre dies ein offizieller Staatsbesuch gewesen, hätten sie reichlich Zeit gehabt, sich vorzubereiten. Doch wie die Dinge lagen, reiste Peter inkognito, und so würden sie sich mehr oder weniger so verhalten, als wäre er ein Cousin vom Lande, der beschlossen hatte, zum Essen vorbeizuschauen.
    Es näherten sich scheppernde Geräusche, gutturale Töne und das Vogelgezwitscher von Sophie Charlottes Gelächter! Ein paar Kammerzofen stürzten sich auf Sophie, um lose Haarsträhnen festzustecken und an ihrem Mieder zu zerren; sie zählte bis zehn und scheuchte sie mit der Hand weg. Hinter ihr trug ein Diener in ungemein würdevoller Haltung den Fledermaus-Teller aus dem Saal, während ein anderer ihn durch einen sauberen ersetzte. Wieder andere nahmen hektische Reparaturen an dem Kandelaber und dem Tafelaufsatz vor. »Doktor! Euer Rapier!«, rief Sophie aus. Sie riss die noch feuchte Waffe vom Tisch und eilte auf Leibniz zu, wie um ihn aufzuspießen. Leibniz trat höflich zur Seite, ergriff die Waffe am Heft und machte sich dann
an das Projekt, sie wieder in die Scheide zurückzubefördern. Die Spitze musste in eine Öffnung eingeführt werden, die zu klein war, als dass Leibniz sie auch nur sehen konnte, weil er seine Brille eingesteckt hatte, und er ekelte sich davor, die mit Fledermaus beschmierte Klinge mit den Fingern seiner anderen Hand zu berühren. Als daher die Vorhut des Zaren um die Ecke in den Saal einbog, stand er immer noch unmittelbar vor dem Eingang und hielt die Waffe auf eine Weise, die zweideutig war. Die Wachen, die nicht fürs Nachdenken bezahlt wurden, konnten im Grunde nicht mit einem Blick entscheiden, ob er die Klinge gerade herausriss oder hineinschob.
    Drei Schwerter fuhren gleichzeitig aus ihren Scheiden, und im Aufblicken sah Leibniz die Klingen – erheblich glänzender als seine – an seinem Halsansatz trianguliert. Im selben Moment – möglicherweise, weil er vor Entsetzen erschlafft war – gelangte die Spitze seiner Klinge irgendwie in die Scheide, und sie glitt darin hinab, bis Roststellen sie auf halbem Wege blockierten. Das schwere Stichblatt seines Rapiers federte mit einem leisen, rhythmischen Geräusch an der elastischen Klinge hin und her. Der fünfundzwanzigjährige Peter Romanow betrat den Saal am Arm der neunundzwanzigjährigen Sophie Charlotte. Vielmehr vermutete

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