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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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und umfassende Liste aller Symbole anlegen, die kluge Geschöpfe in ihrem Kopf herumtragen. Anstatt aber Gehirne zu sezieren und die eigentliche graue Substanz nach diesen Symbolen zu durchforschen – anstatt die gleichen Arten von symbolischen Darstellungen zu verwenden, die der Verstand handhabt -, ordne ich einfach jedem eine Primzahl zu. Zahlen haben den Vorteil, dass sie sich mithilfe von Maschinen handhaben und weiterverarbeiten lassen...«

    »Ach, dieses Projekt schon wieder. Warum bleibt Ihr nicht bei den Monaden? Monaden sind ein ganz wunderbares Thema, und Ihr braucht keine Maschinen, um sie weiterzuverarbeiten.«
    »Ich bleibe ja bei den Monaden, Euer Gnaden, ich arbeite jeden Tag an der Monadologie. Aber ich arbeite auch an dieser anderen Sache...«
    »Früher habt Ihr es anders genannt, nicht wahr? Es handelt sich doch um das ›Ich brauche unendlich viel Geld‹-Projekt«, sagte Sophie zerstreut und rannte den Tisch entlang.
    Leibniz spazierte in die Mitte des Saals, wo es geometrisch unmöglich war, dass die Spitze der Klinge ihn erreichte. »Es erfordert nur in dem Sinne unendlich viel Geld«, sagte er sehr würdevoll, »als es jedes Jahr etwas Geld erfordert, und ich hoffe, dass es immerdar weitergehen wird. Ich habe versucht, Eure Silberminen in Schuss zu bringen – das hat aufgrund von Sabotage, und weil wir gegen indianische Sklavenarbeit in Mexiko konkurrieren mussten, nicht funktioniert. Es tut mir leid, dass es fehlgeschlagen ist. Dann bin ich nach Italien gereist und habe alles so eingerichtet, dass Ihr, sofern das Parlament einverstanden ist, die nächste Königin von England werden könntet. Laut den Torys, welche die Land Bank betreiben, liegt der Wert jenes Landes bei sechshundert Millionen livres tournoises. Sie verkaufen Getreide und importieren Gold, beides in rasendem Tempo. Mit anderen Worten, dort gibt es Geld – nicht unendlich viel, aber genug, um ein paar Rechenmaschinen zu bezahlen.«
    »Nicht nur muss das Parlament dafür stimmen, sondern es müssen auch eine Menge Leute in der richtigen Reihenfolge sterben, ehe ich Königin von England werden kann. Zuerst Wilhelm, dann Prinzessin Anne (die zu diesem Zeitpunkt Königin Anne wäre), dann der kleine Herzog von Gloucester und jedes andere Kind, das sie bis dahin bekommt. Ich bin siebenundsechzig Jahre alt. Ihr müsst Euch anderswo Unterstützung suchen – iiijah! Na bitte! Das hat sie davon, dass sie in meinen Speisesaal eindringt! Doktor Leibniz, was haltet Ihr von meinen Kochkünsten?«
    Das Rapier bewegte sich nicht mehr. Die Augen unverwandt auf Sophies gepudertes Gesicht gerichtet, wagte sich Leibniz näher heran, dann ließ er den Blick von ihrer glatten, fülligen weißen Schulter, den Ärmel ihres Kleides entlang, über ein Geröllfeld von Edelsteinen, das ihr Handgelenk und ihre Finger überzog, die rostige Rapierklinge hinab bis zu einem Meißener Porzellanteller gleiten, auf dem eine verendete Fledermaus lag, die Flügel kunstvoll übereinandergelegt, wie
wenn sie von einem französischen Küchenchef als Garnitur dorthin gelegt worden wäre. »Der Komet ist auf der Erde gelandet!«, verkündete sie.
    »Ach, wie überaus poetisch Ihr seid, Mutter!«, rief eine Stimme hinter Leibniz aus. Er drehte sich zur Tür um, und sein Blick fiel auf einen wohlbeleibten Menschen, der auf die vierzig zuging, dessen Gesicht und Gebaren jedoch das eines deutlich jüngeren Mannes waren. George Louis oder Georg Ludwig, wie er umgangssprachlich genannt wurde, schien gerade erst aufgefallen zu sein, dass seine Mutter auf dem Tisch stand. Er blinzelte mehrmals langsam und froschartig.
    »Der Komet nähert sich dem, äh, Baum«, sagte er nervös.
    »Dem Baum ? Kometen nähern sich nicht Bäumen!«
    »Er hat sich gewissermaßen in dem Netz gefangen, das der Falke ausgeworfen hat.«
    »Falken werfen keine Netze aus«, stieß Leibniz hervor, außerstande, sich zu bremsen. Angesichts des Blicks, mit dem ihn George Louis dafür bedachte, wünschte er, er hätte sein einziges Mittel zur Selbstverteidigung nicht Sophie überlassen.
    »Aber was tut das schon, da doch alles von vornherein Unsinn ist!? Warum muss denn alles stimmen, wenn man sich erst einmal entschieden hat, in albernen Wendungen zu sprechen, anstatt geradeheraus zu sagen, was man will?«
    »George, mein Erstgeborener, mein Stolz, meine Liebe. Was willst du uns sagen?«, fragte Sophie nachsichtig.
    »Dass der Zar Herrenhausen naht!«
    »Der Zar ist also der

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