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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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jedoch die Welt, die verschwunden war – ein bisschen wie Schauspieler, wenn es zwischen zwei Akten der Handlung eine Pause gibt. Mit ihren Perücken, Kostümen, Schwertern und Bühnenrequisiten treten sie ab, und für
eine Weile passiert nichts; das Publikum rutscht hin und her, murmelt, furzt, knackt Haselnüsse, räuspert sich; und wenn es ein angeseheneres Theater ist, beginnt nun ein kleines Stück im Stück, ein entr’acte .
    » Fata!«, rief jemand, und Jack hielt danach Ausschau.
    Das Phantomschiff schien nicht mehr als einen Kanonenschuss von ihnen entfernt zu sein. Zuweilen sah es ziemlich normal und solide aus. Dann wieder spaltete es sich in zwei symmetrische Bilder, eins richtig und eins falsch herum, oder es war verzerrt und huschte hin und her, wie ein zwischen zwei Glasscheiben gefangener Tropfen, der durch den Druck eines Fingers hierhin und dorthin bewegt wurde.
    In den Momenten, in denen es solide und dauerhaft war, konnte man jedoch deutlich erkennen, dass es sich nicht um die Minerva , sondern um ein anderes Schiff handelte. Es hatte Männer an Bord, und sie hatten seine Segel so getrimmt, dass es, wie die Minerva auch, vor dem Wind lief. Mehrere der Männer waren in die Wanten geklettert, um etwas anzustarren und mit den Fingern darauf zu zeigen.
    »Hat es Kanonen ausgefahren?«, fragte van Hoek.
    »Das wäre eine seltsame Gegend für Seeräuberei«, erwiderte Dappa.
    »Pah!«
    »Sie hissen eine Flagge«, sagte Moseh de la Cruz. »Sie müssen uns genauso sehen, wie wir sie sehen!«
    Rote Seide erstrahlte in der Fata Morgana, dem plötzlichen Aufflackern einer Flamme gleich. In der Mitte davon ein goldenes Kreuz und ein paar weitere Wappenmuster. Alle Männer seufzten gleichzeitig auf.
    »Es ist die Manila-Galeone!«, verkündete Jack.
    Auf diese Neuigkeit hin raffte van Hoek sich schließlich selbst auf. Er kletterte bis zur Großmars und versuchte, seinen Kieker auf die Fata Morgana zu richten, was dem Versuch gleichkam, mit einem Klappmesser einen Floh aufzuspießen. Darauf folgte einiges an holländischen Flüchen. Jack hatte genug Zeit mit van Hoek verbracht, um den Grund dafür zu kennen: Trotz ihrer massigen und schludrigen Bauart hatte die Manila-Galeone nicht nur überlebt; sie hatte den Sturm in besserer Verfassung überstanden als die Minerva , oder zumindest ohne einen ihrer Masten zu verlieren.
    Danach hagelte es zwei Tage ohne Unterbrechung. Einer der älteren Matrosen bemerkte, dass es weiter vom Festland entfernt keinen
Hagel gab. Der Wind sprang um und blies ihnen ins Gesicht, und da sie von unergründlichen Strömungen gefährlich nah an die fünfunddreißig Grad getrieben worden waren, blieb ihnen nichts anderes übrig als einen Tag lang in nordwestliche Richtung zu segeln. Als das Wetter aufklarte und der Passatwind sich wieder einstellte und sie wieder Kurs auf Kalifornien nehmen konnten, sichtete irgendjemand einen Thunfischschwarm. Alle waren sich einig, dass Thunfische sich nie weit vom Festland fort wagten – alle außer van Hoek, der nur mit den Augen rollte.
    Am Tag danach bekamen sie die Manila-Galeone noch einmal in einer Fata Morgana zu Gesicht. Diesmal sahen sie – obwohl das Bild flüchtig und verzerrt war – eine Stichflamme, was vermutlich bedeutete, dass die Galeone in dem Bemühen, ihnen ein Zeichen zu geben, eine Kanone abgefeuert hatte. Jeder versuchte, mit einem »Pscht!« für Ruhe zu sorgen, aber wenn überhaupt irgendein Laut die Minerva erreichte, wurde er von dem vielfachen »Pscht« übertönt. Folglich weigerte van Hoek sich, ein Antwortsignal abzufeuern; die Galeone, sagte er, sei womöglich noch hundert Seemeilen entfernt und es habe keinen Sinn, Schießpulver zu vergeuden.
    An diesem Abend beharrte ein weitsichtiger Mann darauf, dass er in südöstlicher Richtung eine Rauchsäule sähe, die er für ein untrügliches Zeichen von Land hielt. Van Hoek sagte, das sei vermutlich eine Wasserhose. Dennoch blieben mehrere Männer auf dieser Seite des Schiffs stehen und hielten den Blick darauf gerichtet, während die Sonne unterging. Im November zogen sich auf diesem Breitengrad die Sonnenuntergänge in die Länge, sodass sie viel Zeit hatten, diese Erscheinung, was immer es war, anzuschauen, während das waagerechte rote Licht der Abenddämmerung sich darin spiegelte.
    Am Ende ging die Sonne natürlich unter, obwohl ein paar Wolken hoch im östlichen Himmel noch eine ganze Weile ein schwaches Glühen zurückwarfen.
    Es gab jedoch einen Punkt, der

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