Confusion
jede einzelne selbst wie ein kleines brennendes Boot aussah. Um den Koloss herum breitete sich ein Sumpf aus chinesischer Seide aus, die durch Feuer und Salzwasser verdorben, aber immer noch farbenprächtiger war als alles, was ihre Augen seit ihren letzten Bordellbesuchen in Manila vor vier Monaten gesehen hatten. Die Seide verfing sich an den Riemen des Beiboots, kam mit jedem Schlag aus dem Wasser und gewährte ihnen flüchtige Blicke auf wunderbare tropische Vögel und Blumen, bevor sie abrutschte und im grauen Pazifik versank. Eine Landkarte schwamm auf dem Wasser, ein quadratisches weißes Stück Pergament, das nicht mehr steif war. Seine Tinte löste sich auf, Bilder von Land und Meer, Breitenkreisen und Meridianen verblassten, bis es ein nichtssagendes, weißes Viereck wurde. Jack fischte es mit einem Bootshaken heraus und hielt es hoch. »So ein Glückstreffer!«, rief er aus. »Ich glaube, diese Karte zeigt uns ganz genau, wo wir sind!« Doch niemand lachte.
»Mein Name«, sagte der Überlebende auf Französisch, »ist Edmund de Ath. Ich danke Ihnen, dass Sie mich an Ihrem Mahl teilhaben lassen.«
Drei Tage waren vergangen, seit Jack ihn aus dem großen Wasser gezogen und über eine der Bänke des Beiboots gelegt hatte; heute hatte de Ath nun zum ersten Mal seine Koje verlassen. Seine Stimme war immer noch heiser vom Rauch, den er eingeatmet, und dem Salzwasser, das er geschluckt hatte. Er hatte sich zu Jack, Moseh, Vrej, Dappa, Monsieur Arlanc und van Hoek in den Speiseraum begeben, der größten und hintersten Kabine auf dem Achterdeck; dessen rückwärtige Wand war eine leicht gekrümmte, zwanzig Fuß breite Fensterfläche, die einen großartigen Blick auf den Sonnenuntergang über dem westlichen Pazifik bot. Der Gast wurde unweigerlich von diesen Fenstern angezogen und stand ein paar Augenblicke da, während das rötliche Licht die Narben und Vertiefungen in seinem Gesicht hervorhob. Wenn er etwas zunähme – was er, wenn er erst einmal in Neuspanien war, wahrscheinlich tun würde -, wäre er ein gutaussehender Mann. So aber bestand sein Schädel nur aus Haut und Knochen. Aber das galt ganz genauso für alle anderen an Bord dieses Schiffes.
»Hier ist alles blödsinnig einfach und überdeutlich, und das gilt auch für die Aussicht«, sagte Jack. »Ein Strich zwischen Wasser und Himmel, und darüber schwebt ein orangefarbener Ball.«
»Das hat etwas Japanisches in seiner Schlichtheit«, sagte Edmund de Ath ernst, »aber wenn man dahinterschaut, kommen barocke Vielschichtigkeit und Verzierungen zum Vorschein – seht Euch nur an, wie die Wolkenbüschel unter dem Ball dahinjagen, wie die Wellen dezent voreinander knicksen, wenn sie sich begegnen...«, und dann legte er in einem hochgestochenen Französisch los, dem Jack nicht mehr folgen konnte; was Monsieur Arlanc zu der Äußerung veranlasste: »Aus Eurem Akzent schließe ich, dass Ihr Belgier seid.« Edmund de Ath (1) empfand das als mittelschwere Beleidigung, war aber (2) zu gelassen und gesetzt, als dass es ihn übermäßig störte. Voll christlicher Nachsicht antwortete er mit so etwas wie: »Und ich schließe aus der Gesellschaft, in der Ihr Euch befindet, Monsieur, dass Ihr zu jenen Menschen gehört, die von ihrem Gewissen dazu gebracht wurden, die Vielschichtigkeit und die Widersprüche der römisch-katholischen Kirche zugunsten eines Glaubensbekenntnisses von Rebellen aufzugeben.« Dass dieser belgische Mönch auf die Verwendung des Wortes Häretiker verzichtete, wurde von allen im Speiseraum schweigend registriert.
Wieder verfielen er und Monsieur Arlanc in schwerverständliches Französisch. Doch als van Hoek sich mehrfach räusperte, unterbrach Jack sie schließlich: »Die Maden, Rüsselkäfer, Mehlwürmer und Schimmelpilze in diesen Schüsseln bleiben nicht die ganze Nacht frisch!«
Die einzigen Lebensmittel, die es auf dem Schiff noch gab, waren Trockenrindfleisch, etwas Trockenfisch, Bohnen und Schiffszwieback. Diese wurden regelmäßig in Küchenschaben, Würmer, Maden und Rüsselkäfer umgewandelt. Sie schauten längst nicht mehr nach, ob ihr Essen diese Verwandlung vollzogen hatte oder nicht, sondern aßen unterschiedslos beides.
»Meinem Glauben gemäß darf ich am Freitag keinerlei Fleisch essen«, sagte Edmund de Ath, »und deshalb kann jemand anderes meine Portion Bohnen haben.« Ratlos beäugte er einen Haufen Maden, der an die Oberfläche seiner Schüssel gestiegen war. Van Hoeks Gesicht lief rot an, als ihm klar wurde, dass
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